Samuel Riot bewegt sich nomadisch zwischen seinem Lebensmittelpunkt New York, Los Angeles und der Schweiz. Auch seine musikalische Praxis lebt von Mobilität: Er hat in den vergangenen Jahren nicht nur für Pop-Grössen produziert, sondern gleichzeitig auch Installationen realisiert und eigene Musik veröffentlicht. Diese profitiert nicht nur von dem Wissen, das sich der Künstler bei seinen anderen Tätigkeiten erarbeitet hat, sondern auch von einer schillernden Experimentierlust und einem grossen Bewusstsein für die spezifischen Qualitäten ganz unterschiedlicher Genres und Nischen.
Die EP Ballads, die soeben auf Mixpak erschienen ist, lässt sich entsprechend nicht nur von einem ambitionierten Pop-Bewusstsein leiten, sondern verlässt sich ebenso sehr auf ein Gespür für Verwischtes, für Unschärfen und Ränder. Kurz vor dem Release, das mit einer neuen Installation in einem leer stehenden New Yorker Warenhaus verbundenen ist, hat sich der Künstler für zweikommasieben die Zeit genommen, einige Fragen zu beantworten.
Marc Schwegler Mit Ballads erscheint nun deine dritte Veröffentlichung bei Mixpak – nach den EPs Patterns von 2016 und Anima (2017). Was hat sich über den Verlauf der drei Releases geändert? Hängen sie zusammen?
Samuel Riot Ich würde hoffen, dass ich mich über den Verlauf dieser drei Veröffentlichungen künstlerisch und kompositorisch weiterentwickelt habe; etwa dass sich meine klangliche Sprache verfeinert hat und meine musikalische Ausdrucksweise präziser wurde. Die drei Releases hängen insofern zusammen als dass sich alle drei thematisch um die Auslotung von Grenzgebieten drehen. Patterns bediente sich an der klanglichen Palette zeitgenössischer Klubmusik, ohne dabei unbedingt auf die Tanzfläche zu zielen. Bei Anima entfernte ich mich dann klangästhetisch und auch bezüglich Tempi weg vom Klub. Ich wollte die dystopische Grundstimmung, die meine Musik oft dominiert hat, mit Lichtblicken durchbrechen und feinere Gesten ins Zentrum rücken. Bei Ballads wollte ich nun mit dem Spannungsfeld zwischen «Avant-Garde» und Pop experimentieren und Elemente aus der zeitgenössischen Popmusik mit Kompositions- und Bearbeitungstechniken der experimentellen, elektronischen Musik kombinieren. Mich interessieren Zwischenräume und Momente der Überschneidung – wenn immer künstlerische Welten aufeinandertreffen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen, entsteht Potential für spannende Arbeiten.
MS Wie sehr profitiert das Release von den Erfahrungen, die du in der Produktion für andere Künstlerinnen gemacht hast?
SR Mein Schaffen spielt sich thematisch schon seit längerem im Spannungsfeld zwischen Kunst und Pop-Kultur ab. Im Laufe der letzten 2-3 Jahre begannen sich im Rahmen meiner Produktionstätigkeit direkte Berührungspunkte mit der Pop-Welt zu häufen und Ballads ist ganz klar ein direktes Resultat dieser Tatsache. Ich wollte ganz bewusst meine gesammelten «Pop-Erfahrungen» in die Produktion einfliessen lassen, respektive diese zum zentralen Thema machen.
MS Beim Track «Don’t Lie» scheint nur noch die Distortion dafür zu sorgen, dass der Song sich nicht komplett zum Pop-Crooner wandelt…
SR Genau mit solchen Grenzmomenten wollte ich bei dieser Produktion spielen! Dabei repräsentiert «Don’t Lie» wohl das eine Extrem – das Stück ist, wie du sagst, tatsächlich ganz kurz vor der reinen Popmusik. Am anderen Ende des Spektrums steht dann wohl ein Stück wie «Everywhere Pt. 2», wo die musikalischen Bausteine eines Popsongs, komplett dekonstruiert werden und die Song-Struktur quasi in sich zusammenfällt.
MS Bei Ballads sind nun auch Gäste dabei – Ian Isiah bei «Frontline (If I’m Gonna Make it)» und bei Gaika [siehe zweikommasieben #19] auf dem letzten Track «IX». Wie kam’s dazu – entstand das organisch oder war das von Anfang an beabsichtigt?
SR Für mich stand von Anfang an fest, dass ich mit Vocals arbeiten werde. Zu Beginn waren das zunächst primär gesampelte Stimmen. Im Laufe der Produktion kam ich dann im Rahmen anderer Projekte mit Ian und Gaika in Kontakt, und die Zusammenarbeiten ergaben sich sehr organisch. Ich denke, dass sich sowohl Ian Isiah – nicht zuletzt mit seiner Arbeit mit Blood Orange – wie auch Gaika in ihrer jeweiligen Arbeit grundsätzlich in ähnlichen Grenzgebieten zwischen Pop und experimenteller Musk bewegen, von daher fühlten sich diese Kollaborationen von Beginn weg sehr stimmig an.
MS Du hast unlängst deinen Master in Contemporary Arts Practice (Sound Arts) abgeschlossen und arbeitest gleichzeitig an Installationen, an Produktion für andere und an deiner eigenen Musik. Laufen diese verschiedenen Tätigkeiten parallel, zusammenhängend oder unabhängig? Und was heisst diese Vielfalt für deinen Arbeitsalltag – wie läuft der ab?
SR Grundsätzlich läuft das alles zusammenhängend ab. Ob ich nun an einer Produktion für einen anderen Künstler, einer Soloproduktion oder einer Komposition für eine Installation arbeite macht in meinem Alltag kaum einen Unterschied. Ich sitze in den gleichen Studios oder arbeite auf meinem mobilen Setup und verfolge einen ähnlichen Tagesablauf – ziemlich unabhängig davon, wo ich bin oder woran ich arbeite. Ich versuche in meiner künstlerischen und kompositorischen Praxis diese verschiedenen Ansätze und Perspektiven auch bewusst ineinander fliessen zu lassen. Ballads setze ich beispielsweise gleichzeitig mit dem digitalen Release als Installation um. Und auch bei Veröffentlichungen in der Vergangenheit gab es in der Regel eine räumliche oder performative Umsetzung in der einen oder anderen Form.
MS Hast du noch enge Beziehungen in die bzw. einen starken Bezug zur Schweiz? Bist du noch regelmässig hier?
SR Ich habe nach wie vor sehr enge Beziehungen in die Schweiz und arbeite auch regelmässig mit Schweizer Künstlerinnen oder Produzenten zusammen. Auf Ballads spielt beispielsweise der Genfer Musiker Vincent Ruiz (ex-Plaistow) auf zwei Stücken Kontrabass und Rhodes. Grundsätzlich versuche ich soviel Zeit wie möglich in der Schweiz zu verbringen, zumal ein wichtiger Teil meines sozialen Umfeldes nach wie vor in der Schweiz ist. Seit die USA zu meiner Zweitheimat geworden sind, spielt sich aber mein Leben nicht mehr primär an einem zentralen Ort ab, sondern es gibt mehrere Zentren, die gleichermassen wichtig sind. In den letzten Jahren habe ich jeweils gut die Hälfte des Jahres in New York verbracht, etwa einen Viertel in LA und einen Viertel in der Schweiz respektive in Europa. Dieses saisonale, semi-nomadische Modell ist ein Privileg, das ich sehr schätze.
MS Was gefällt dir besonders an New York und mit was bekundest du eventuell auch Mühe?
SR Da ich den Winter jeweils in LA verbringe gibt es eigentlich wirklich kaum etwas, was ich an New York nicht mag. Ich schätze die Tatsache, dass alles stetig in Bewegung ist, was sich meiner Meinung nach auch auf die kreative Arbeit in der Stadt auswirkt. Alles ist in stetigem Fluss und verändert sich konstant. Das ist manchmal schade, wenn beispielsweise geschätzte Lokale die einer Szene eine Heimat boten, verschwinden. Dafür entstehen aber auch stetig wieder neue Knotenpunkte. Ich schätze es ungemein, wie schnell und kurzfristig Sachen entstehen können. Bestes Beispiel ist die Installation zu Ballads: Über die letzten Wochen, hielt ich nach Warehouses oder Off-spaces Ausschau, wo eine installative Umsetzung der Platte möglich wäre. Eine Woche vor dem Releasedatum, meldete sich jemand bei mir, und offerierte mir ein verlassenes, grosses Warenhaus mitten in Manhattan’s Financial District zur Zwischennutzung. Einen Tag später waren die Maler drin, am Montag begann der Aufbau und am Donnerstag war Vernissage. Diese für mich für New York typischen Momente ergeben sich irgendwie immer wieder und inzwischen schätze ich diese Spontanität und die unberechenbaren Aspekte der Stadt sehr – auch wenn sie in starkem Kontrast zu meinem urtümlichen nach Struktur und Planbarkeit strebenden Schweizer Wesen stehen.
Ballads ist via Mixpak hier erhältlich.