12.05.2020 von Kevin Goonewardena

Phillip Sollmann aka Efdemin – Mehr als die Nacht / Pre-Listen: Monophonie

A-Ton veröffentlicht Ende dieser Woche Phillip Sollmanns Album Monophonie, das wir exklusiv als Pre-Listen präsentieren. Dazu publizieren wir einen von Kevin Goonewardena verfassten und von Lendita Kashtanjeva bebilderten Beitrag über Sollmann, der ursprünglich in zweikommasieben #19 veröffentlicht wurde. Anlass des Portraits damals war Sollmanns jüngstes Album als Efdemin: New Atlantisdas 2019 auf A-Tons Mutterlabel Ostgut Ton erschien.

Phillip Sollmann tritt seit den späten Neunzigerjahren als Efdemin auf. Als Stammgast auf dem Hamburger Label Dial prägte und popularisierte er vor allem in der zweiten Hälfte der Nullerjahre einen Sound, der heute als Wegbereiter dessen gilt, was als Minimal und Tech House verschrien wird. Dabei sind die Alben Efdemin [2007] und Chicago [2010] oder die Mix-CD Carry On – Pretend We Are Not In The Room, 2008 auf Curle Recordings erschien, weit mehr als das – und zudem gut gealtert. Auch ist Sollmann nicht nur Efdemin, wie er zwischenzeitlich selbst zweifelte. Jüngst realisierte der Wahlberliner etwa Gegen Die Zeit, ein gemeinsames Projekt mit dem Musiker John Gürtler, oder das mit Oren Ambarchi und Konrad Sprenger eingespielte Panama / Suez. Mit diesen und weiteren Projekten positioniert sich Sollmann in einer Szene, die zwar den Klub noch als Auftrittsort nutzt, sich aber musikalisch und ästhetisch anders verortet.

Anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Efdemin-Albums New Atlantis, das auf Ostgut Ton erschien, traf sich Kevin Goonewardena mit Sollmann an dessen ehemaligen Wohnort Hamburg. Einige Wochen davor fotografierte Lendita Kashtanjeva den Musiker exklusiv für zweikommasieben.

Phillip Sollmann sitzt in der hintersten Ecke eines Cafés im Hamburger Schanzenviertel vor einer Minestrone. «Ich habe gestern zum ersten Mal seit Ewigkeiten eine Stunde getanzt! Es hat sich genauso angefühlt wie 1997, als ich einen Auftritt von Richie Hawtin hier nebenan in der Roten Flora gesehen habe. In absoluter Dunkelheit spielte Hawtin mit Platten und seiner 909. Dieser Minimalismus hat mich umgehauen. Es war genial.»

Nostalgie

Als Efdemin hat Sollmann vor kurzem ein Album veröffentlicht; nicht über sein Hauslabel Dial, sondern über Ostgut Ton, dem Label des Berghains. New Atlantis, so der Name des Albums, ist der Anlass des Interviews, nicht aber dessen Thema. Denn es soll um Phillip Sollmann gehen, nicht (nur) um Efdemin. Den Treffpunkt hat Sollmann ausgewählt, weil er während seiner Hamburger Zeit öfters dort gewesen sei, schrieb er vorab. Diese Hamburger Zeit umfasste acht Jahre von Mitte der Neunziger bis Sollmann zuerst nach Wien, dann nach Berlin weiterzog. Damals, als Richie Hawtin in der Flora spielte, lebte Sollmann noch nicht lange in Hamburg – zwei, drei Jahre erst –, die entscheidenden sollten noch kommen. Angezogen von Bands wie Kolossale Jugend, Blumfeld oder Die Goldenen Zitronen, liess sich Sollmann in der Hansestadt nieder. Und bald fasst er Fuss – zuerst als Teil verschiedener Bands, ab Ende der Neunziger vermehrt als Produzent elektronischer Musik. Seine Fixpunkte damals: Das Heinz Karmers Tanzcafé und der Golden Pudel Club [siehe zweikommasieben #10], der zu jener Zeit schon an heutiger Stelle angesiedelt und trotzdem ganz anders war. Nur diese unvergleichliche Durchmischung des Programms, die gab es damals schon. Umgehauen haben ihn etwa die immer wieder durch Spoken-Word-Einlagen durchbrochenen DJ-Sets von Blumfeld-Kopf Jochen Distelmeyer, die Auftritte des sich damals in seiner Remix-Blütezeit befindenden DJ Koze (aka Fischmob und Adolf Noise) oder die montäglichen Kunstausstellungen. Es war diese Schrankenlosigkeit, die man noch heute, mehr als 20 Jahre später, vom Pudel kennt und die man an ihm liebt.

Das Café, in dem Philipp Sollmann vor seiner Minestrone sitzt, befindet sich in einer Nebenstrasse des Schulterblatts – an der gleichen Strasse wie die Rote Flora also, deren Besetzung sich dieses Jahr auch schon zum 30. Mal jährt. Sollmann erzählt davon, wie er am Tag davor in Tallinn in einer alten U-Boot-Werft aufgelegt, im Anschluss daran seit langer Zeit mal wieder getanzt und dabei die Energie gespürt habe, wie damals im Hamburg der späten Neunziger. Nur Richie Hawtin war nicht da, aber das macht nichts. Sollmann hat wieder mehr Spass an seinem Job – und als nichts Anderes bezeichnet er das Auflegen von Platten im Klub –, was vor allem daran liegt, dass im Projekt Efdemin wieder mehr Sollmann steckt, als dies früher der Fall war. Sollmann, der Interdisziplinäre, der als DJ und Produzent Efdemin bekannt wurde, verwischt mit jeder weiteren Arbeit Namen, Konturen, Schubladen, gar Definitionen. Das war nicht immer so.

Sollmann ist Efdemin ist Efdemin ist Sollmann

«Früher habe ich alles immer getrennt», erzählt Sollmann. «Mein Album Something Is Missing [Dial, 2006] erschien unter meinem bürgerlichen Namen. Davor hatte ich schon Musik als Efdemin veröffentlicht, aber dieses Album enthielt einen anderen Sound. Erst jetzt bei der aktuellen Platte New Atlantis führe ich Sollmann und Efdemin zusammen. Vor allem aber traue ich mich auch im Klub mehr von dem zu spielen, was ich eigentlich spielen will. Ich lasse Sollmann in Efdemin einfliessen. Das habe ich lange nicht hinbekommen. Lange Zeit hatte ich sogar ganz bewusst die dadurch entstehende Reibung vermieden.» Der Musik, die Sollmann als Efdemin veröffentlicht, kommt aber das zugute, womit er sich abseits des dann doch recht eng definierten DJ/Produzenten-Rahmens elektronischer Musik beschäftigt – und in diesem Feld ist er vor allem in den letzten Jahren umtriebiger denn je. «Es tut sich gerade unheimlich viel. Die Zusammenarbeit mit Konrad Sprenger beispielsweise wird immer intensiver. Das Interesse an unserem Orgelprojekt Modular Organ System ist sehr gross und wir werden auch bald wieder damit zu sehen sein.»

Mit Sprenger, dessen Album Stack Musik 2017 auf Pan erschien, verbindet Sollmann nicht nur eine langjährige Freundschaft, sondern verschiedene gemeinsame Projekte – Modular Organ System ist keineswegs die erste Zusammenarbeit der beiden. Neben der vergangenen Kollaboration Autotune arbeiteten die beiden Künstler etwa kürzlich auch mit dem australischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Oren Ambarchi zusammen. Das Ergebnis des Trios, die EP Panama / Suez, ist im letzten Jahr auf dem wiederbelebten Ostgut-Unterlabel A-Ton erschienen. Sollmann erzählt, wie es zur Zusammenarbeit kam: «Das ist tatsächlich ein Projekt, auf das ich später aufgesprungen bin. Oren und Konrad hatten bereits an zwei Stücken gearbeitet, die bei einer Jam entstanden sind, und kamen irgendwann an einen Punkt, an dem sie nicht mehr weiterwussten. Konrad hat mir die Stücke vorgespielt und mich gefragt, was ich machen würde. Ich habe über den Zeitraum von einem Jahr immer wieder daran gearbeitet, so dass ich das Ausgangsmaterial am Ende ziemlich verändert hatte. Die Stücke haben den Leuten von Ostgut Ton so gut gefallen, dass sie sie veröffentlichen wollten.»

Während die Zusammenarbeit noch über das Internet ablief, ohne dass die drei Musiker gemeinsam ein Studio oder auch nur einen Proberaum aufgesucht hätten, war es Sprenger, Ambarchi und Sollmann wichtig, das Projekt auch live zu präsentieren. «Bei einem Konzert in der Säule des Berghains haben wir zwar nicht die Stücke gespielt, aber zusammen gejammt. Ich habe Hurdy Gurdy gespielt und mein Modular System mitgebracht, Konrad und Oren spielten Gitarre. Das Jammen war genau das, was mir im Klubkontext immer gefehlt hat: Dass man improvisieren muss und dass auch mal etwas Unvorhergesehenes passieren kann.» Oben hat gleichzeitig Ben Klock gespielt. «Ich fand das grossartig, weil es zeigte, was im Klub alles machbar ist: Während wir unten dieses psychedelische Drone-Konzert spielten, legte Ben oben Techno auf. Ich hoffe, dass Sachen wie diese öfter vorkommen.»

Ausbruch eines Angepassten

Früher, so erzählt Phillip, habe er damit gehadert, nicht dazuzugehören. Heute hingegen sei er froh, dass es nicht so ist. Dazuzugehören, zu denen, die um die Welt jetten, die grossen Festivals spielen, die grossen Gagen kassieren. Zu den Big Names, die von Johannesburg bis Reykjavik, von Buenos Aires bis Seoul, von Atlanta bis Sydney die Nächte gestalten, oder besser: Eineinhalb, zwei, vielleicht drei Stunden von diesen Nächten – 100, 150, 200 Mal im Jahr, immer und immer wieder nach der gleichen Formel. «Dass die Klubszene immer weiter standardisiert wurde, hat mich mehr und mehr gelangweilt. Die, die mitspielen, verdienen zwar viel Geld, aber das ist ja nicht alles», sagt Sollmann. Dieses Selbstbewusstsein ist auch einer persönlichen Entwicklung der letzten Jahre geschuldet. «Ich war zu lange von dem beeindruckt, was um mich herum passierte. In den letzten Jahren habe ich glücklicherweise mehr und mehr zu mir gefunden. Vielleicht liegt es am Alter, vielleicht daran, dass ich Vater geworden bin. Ich begann, mich vermehrt zu fragen, was mir wichtig ist, was ich selbst eigentlich will und habe diese Manipulationsversuche von Aussen nicht mehr zugelassen», erzählt er und beschreibt, wie überwältigt er von der kurzzeitigen Hysterie war, die um sein selbstbetiteltes Debütalbum als Efdemin, das 2007 auf Dial erschien, entstand. «Heute sehe ich das noch bei Kollegen, wie es über sie hereinbricht und sich auf einmal alles ändert. Das Leben ist plötzlich nicht mehr das, was es war; Freundschaften können kaputtgehen.» Er selbst sei noch nicht ganz da, wo er sein wolle. «Aber ich bin viel weiter als noch vor Jahren, wenn es darum geht, wie oft sowie wo und was ich spiele. New Atlantis widerspiegelt diese Veränderung auch ein bisschen. Es ist eine Platte des Aufbruchs, die andeutet, wo es hingehen kann.»

Sowohl Richtung, als auch Ausdrucksformen sind bei Sollmann diverser denn je. Als Efdemin stünden ein paar Remixe an, auch eine Techno-EP käme bald. «Dann ist erstmal das Orgelprojekt mit Konrad dran. Ausserdem schreibe ich gerade ein Stück, das an der Berliner Volksbühne aufgeführt wird – die Premiere ist im Oktober. Das ist toll, denn ich hatte immer schon die Idee, dass man sich in verschiedenen Bereichen, die sich gegenseitig befruchten, aufhalten kann – ohne so eine komische Crossover-Ästhetik zu bedienen. Mit Neo-Klassik und solchen Sachen kann man mich jagen. Aber ich denke, dass es viele Parallelen gibt in Sachen Psychedelik, Ekstase oder Transzendenz zwischen für mich interessantem Techno und der Musik von Laurie Spiegel oder Tony Conrad. Das sind für mich zwei verschiedene Seiten der gleichen Medaille.»

Keine Grenzen

Dieser Medaille nähert sich Phillip Sollmann auch mit John Gürtler, deren Kollaboration Gegen Die Zeit 2017 auf dem Dial-Sublabel Sky Walking erschien. Als The Borderland State hatte Gürtler, der hauptsächlich als Filmkomponist tätig ist, schon einen Remix von Efdemins Track «Parallaxis» [Dial, 2014] angefertigt. Kennengelernt haben sich die beiden Musiker indessen, weil sie seit sieben Jahren Studionachbarn sind. «Seither haben wir wahnsinnig viel Musik zusammen aufgenommen. Uns verbinden einige gemeinsame Interessen: gewisse Konzepte von Sound, Jazz oder auch der Theaterregisseur und Komponist Heiner Goebbels.» Als Sollmann 2015 zum Architektursommer nach Frankfurt eingeladen wurde, wollte er eine Arbeit mit Gürtler realisieren. «Wir haben ein Konzert unter einer Autobahnbrücke gespielt. Die Platte auf Sky Walking ist letztendlich ein Edit von diesem Konzert.»

In anderen Konstellationen habe Sollmann auch schon Cello oder Gitarre gespielt, erzählt der Musiker im Verlaufe des Gesprächs. Gar Distelmeyer habe ihn einst gefragt, ob er nicht bei Blumfeld einsteigen wolle, als Keyboardspieler, wie der Angefragte in einem vergangenen Interview erwähnte – ein paar Jahre zu spät, merkte er damals an. Das Arbeiten mit verschiedenen Instrumenten und in verschiedenen Konstellationen, vor allem aber mit der einkalkulierten Möglichkeit des Unvorhersehbaren begleiten Sollmann bis heute. Dies hat sich schon immer in seinen Nebenprojekten ausgedrückt – mittlerweile aber auch in der Arbeit als Efdemin. Sollmann zeigt ohne Pathos, was der Musik pathetisch nachgesagt wird: Dass sie dazu da ist, Grenzen zu überwinden.

Phillip Sollmanns Album Monophonie erscheint am 15. Mai 2020 auf A-Ton und ist hier erhältlich.

Das oben publizierte Portrait wurde ursprünglich in zweikommasieben #19 veröffentlicht; die Printausgabe kann via Präsens Editionen erworben werden.