Im Rahmen der Langen Nacht Der Elektronischen Musik in der Dampfzentrale Bern führte der amerikanische Künstler vergangenen Sommer zwei seiner Stücke zwischen Thomas Köner, AGF und Cut Hands auf. Kurz vor dem Konzert trafen José Luis Baez und Jamal Al Badri Phill Niblock und Fabio Oehrli – einer der Musiker des Konus Quartett, das an diesm Abend Teil von Niblocks Performance war – im Restaurant der Dampfzentrale am Aareufer auf ein kurzes Gespräch.
Jamal Al Badri Bei der Performance heute Abend setzt du Live-Musiker ein. Wie genau geht das von statten ? Was ist deine Aufgabe, Phill ? Bist du auch auf der Bühne ?
Phill Niblock Es gibt nicht wirklich eine Bühne. Ich sitze an der Seite des Raumes an einem Tisch, auf dem zwei DVD-Abspielgeräte und ein Computer stehen. Ich drücke auf den DVD-Abspielgeräten und auf dem Computer, von dem dann der Sound kommen wird, die Play-Taste und das war’s.
JAB Dann manipulierst du die Sounds der Musiker also nicht ?
PN Absolut nicht. Sobald ich die Play-Tasten bedient habe, kann ich mich zurücklehnen und eine Flasche Wein trinken. [Grinst in bester Jack-Nicholson-Manier und nimmt einen Schluck Wein]
JAB Das klingt nach einer angenehmen Aufgabe…
PN Absolut. Wenn du mit jemandem sprechen möchtest, der heute richtige Arbeit leistet, dann solltest du mit Fabio reden. Er ist Teil des Konus Quartetts, das heute im Rahmen meiner Performance auftritt.
JAB Aber gerne doch ! Fabio, was ist deine Rolle in diesem Stück ?
Fabio Oehrli Das Stück heisst To Two Tea Roses und besteht aus 32 Stimmen. Das Spezielle an der Performance heute ist, dass vier dieser 32 Stimmen live gespielt werden; die restlichen 28 Stimmen stammen von einem Playback. Da das Stück eine hohe Präzision der Musiker verlangt, müssen wir mit Stimmgeräten spielen. Wir spielen zwar mit speziellen Griffkombinationen, jedoch ändert sich laufend die Temperatur der Instrumente, so dass wir die Tonhöhe zusätzlich mit dem Ansatz beziehungsweise der Position der Mundstücke korrigieren müssen.
JAB Was genau meinst du mit « Präzision » ?
FO Wir spielen lediglich eine Note. Dabei sind aber Tonhöhen im Mikrobereich wichtig…
PN Vielleicht muss ich kurz ausholen und eine Sache klarstellen: Ich arbeite auf verschiedene Arten. Einerseits gehe ich mit Musikern in ein Studio und nehme ein paar Töne auf, die sie spielen. Ich nehme dann dieses Material und kreiere in einer Multitrack-Umgebung ein Stück daraus. Das sind Ein-Instrument-Stücke. Wenn ich jene Art von Stücken performe, spiele ich einfach die Aufnahme ab. Es kommt aber auch vor, dass ich neben der Aufnahme Live-Musiker einsetze. Heute Abend ist das der Fall. Anderseits schreibe ich Partituren für Orchester, bei denen die Tonhöhen im Mikrobereich berücksichtigt werden – man hat beispielsweise die Note B mit einem Pfeil der nach oben oder nach unten zeigt, was so viel bedeutet wie, dass die Note klar oder flach gespielt werden soll. Diese Stücke werden dann ohne Playback von Orchestern vorgetragen – so geschehen neulich in Tschechien mit 110 Musikern auf ein Mal.
JAB Worin unterscheidet sich für dich, Fabio, die Performance heute Abend von « normalen » Konzerten ?
FO Normalerweise interagiere ich mit anderen Musikern. Bei der Performance heute ist das anders, da wir nach einem Zeitraster spielen und wie erwähnt die Intonation nicht auf unserer gewohnten Harmonik aneinander anpassen. Es spielt quasi jeder für sich im Zeit- und Tonhöhenbereich – energetisch beeinflusst man sich trotzdem während des Konzerts. Das ist einer der Hauptunterschiede… Zuerst dachte ich, es würde schwierig sein, während der ganzen Zeit konzentriert zu bleiben. Das erstaun-
liche aber war, dass die Performance einen regelrecht hineinzieht. Den Verlust dieser Sogwirkung spürt man erst am Schluss, wenn das Stück urplötzlich zu Ende ist. Es ist wie wenn man eine Stunde am Stück joggen geht, dann plötzlich stehen bleibt und das Gefühl hat, die Beine würden sich noch immer bewegen.
JAB Wie lange dauert die Performance denn ?
PN 23 Minuten. Das Konzert besteht aber aus zwei unterschiedlichen Stücken; das eine dauert 15 Minuten, das andere eben 23 Minuten.
JAB Phill, inwiefern braucht es dich überhaupt heute Abend ? Könnte nicht jemand anderes die Play-Tasten drücken ?
PN [Nickt] Ja, klar. Aber die Veranstalter wollten mich dabei haben – das ist häufig der Fall. Aber wie gesagt: Eigentlich mache ich dabei nichts.
JAB Wirklich nichts ?
PN Wirklich nichts. [Kurze Pause während der sich PN erneut mit Wein versorgt] Ich sitze immerhin an diesem Tisch…
JAB [lacht]
PN Jemand hat vor kurzem eine sehr schlechte Kritik über eine meiner Performances geschrieben. Diese fand im Cafe OTO statt – einer der berühmtesten Orte für experimentelle Musik. Dabei wurde ich wiederum von einem Ensemble unterstützt. Ich sass im Hintergrund an einem Tisch auf dem der Mixer stand. Die Performance war sehr gut besucht, weshalb ich am Schluss nicht aufstehen und auf die Bühne gehen konnte. Ich war quasi unsichtbar. Und dafür kritisierte mich dann der Kritiker… Die Musik aber war dieselbe – auch wenn man mich nicht sehen konnte.
JAB Die Unsichtbarkeit ist aber eher Zufall und nicht Teil eines Konzepts ?
PN Mir ist es ganz recht, wenn ich unsichtbar bin. Ich bin sehr schüchtern. [Grinst]
JAB Während deinen Performances zeigst du auch Filme. Ist das eine Methode, um von dir als Person abzulenken ?
PN Die Filme zeige ich oft nur, wenn ich alleine auftrete. Wenn Musiker auf der Bühne stehen, kann das Publikum diese anschauen. Wenn da aber keine Musiker stehen, dann zeige ich Filme, damit da eben etwas passiert.
PN Diese Frage stellte sich schon zu Zeiten der Musique concrète. Damals wollten Konzertbesucher irgendwann nicht mehr einfach nur Tape-Konzerte hören – also im Publikum sitzen und jemandem zuhören (und zuschauen !) wie dieser Tapes abspielt. Daher suchte man schon damals nach visuellen Komponenten für Performances. Nun, ich bin nicht nur Musiker, sondern auch Fotograf und Filmmacher. Als ich eine visuelle Ebene für meine Musik schuf, machte ich dies ohne Hintergedanken. Ich machte es einfach…
JAB Gibt
es denn einen Zusammenhang zwischen dem Sound und den Videos ? [Schweigen] …Wird zum Beispiel mit beidem dasselbe ausgesagt ?
PN Es gibt keine Botschaft.
JAB Keine Botschaft ?
PN Keine Botschaft.
José Luis Baez Vor einer Weile interviewten wir Tim Hecker…
PN Das ist ein Freund von uns. Sie [zeigt auf seine Lebensgefährtin, die weiter unten am Tisch sitzt] ist auch aus Montreal…
JLB Im Gespräch mit ihm ging es ebenfalls um den visuellen Aspekt von Performances. Und Tim erklärte, dass er keine Visuals verwendet, weil er dem Zuschauer nichts auferlegen wolle. Er bevorzuge es, wenn das Publikum sich seine eigenen Gedanken macht…
PN Ich habe diesbezüglich eine andere Meinung. [Kurze Pause] Wir fuhren einmal gemeinsam mit dem Auto von Montreal nach New York. Dabei sprachen wir über viele Sachen… Er ist ein interessanter Mensch und auch ein toller Musiker…
JAB Absolut. Tim Hecker schrieb seinen PhD über « Urban Noise ». Verstehst du deine Musik als eine Art Fluchtort vor diesen Noises ? Deine Musik erscheint mir ruhig – trotz der Lautstärke…
PN Ich dachte immer, meine Musik wäre überaktiv. Da passiert doch so vieles, [an FO gewandt] nicht ?
FO Ja, da passiert sehr viel. Da sind diese sehr subtilen Stellen zwischen den Sounds. Ich kann tief in die Musik von Phill eintauchen. Ich höre dann plötzlich Rhythmen und Tonleitern, verschiedene Feinheiten im Bass und in den Höhen…
PN [An FO gewannt] Du kannst dich also – obwohl du am spielen bist – in die Musik vertiefen ?
FO Ja, schon. Als Zuhörer fällt mir das aber leichter. Anderseits bin ich, wenn ich spiele, sehr konzentriert; das hilft natürlich auch… Gestern, als wir in Zürich spielten, fühlte sich die Performance wie ein Trip an.
JAB Ich werde heute zum ersten Mal deine Musik « live » erleben, Phill. Darum kann ich nur annehmen: Die physische Komponente ist sehr wichtig bei deinen Stücken…
PN Das stimmt.
JAB Wieso ?
PN Das, was in der Musik passiert, geschieht nur bei hohem Volumen. Ab einer gewissen Lautstärke hört man Obertöne. Wenn man die Musik leise vorspielt, hört man lediglich die einzelnen Instrumente. Die Obertöne fallen dann weg.
PN Ja, klar. Das ist in meinen Augen aber dasselbe.
JAB Dasselbe ?
PN Ja, bei meinen Konzerten wird die Theorie körperlich erfahrbar. [Kurze Pause in der alle dem gerade Gesagten nachhängen]
JAB Vielleicht können wir noch über die Eventreihe sprechen, die du in New York organisierst. Wie gehst du denn bei der Auswahl der Musiker, die bei dir auftreten, vor ?
PN Ich werde oft von Künstlern angefragt. Wenn diese für mich interessant sind, sage ich zu. Manchmal frage ich aber auch Leute an, die dann oft überrascht sind, da sie nicht erwartet hätten, dass ich anfragen würde… Natürlich unterliegen wir wirtschaftlichen Einschränkungen. Wir können beispielsweise nicht für Flugtickets aufkommen. Die Leute, die im Rahmen von Experimental Intermedia spielen, sind also Künstler, die entweder unbedingt bei uns spielen wollen oder sie haben an anderen Orten in der Stadt Auftritte. Letzteres ist meistens sehr schwierig, da es in New York nur eine kleine Szene für experimentelle Musik gibt. Es gibt zwar verschiedene Orte, an denen diese Art von Musik gezeigt wird, aber das Publikum ist jeweils dasselbe. Darum macht es eigentlich keinen Sinn, jemanden zu buchen, der schon an einem andern Ort in der Stadt spielt… Auch werden heutzutage in die Staaten einreisende Musiker genauer kontrolliert. Will jemand mit einer Gitarre einreisen, googeln die Beamten nach Auftritten dieser Person. Werden dann welche gefunden, die nicht angemeldet sind, schicken sie den Künstler wieder nach Hause. Darum hatten wir auch schon den Fall, dass wir Künstler, die bei uns spielten, nicht ankündigen konnten. Das war eine seltsame Angelegenheit. Wie auch immer, die Serie gibt es schon seit 1973; immer am selben Ort – an dem ich übrigens auch wohne. Die Infrastruktur in meiner Loft ist super. Die Leute kommen jeweils an und können direkt loslegen. Alles ist da: Der Mixer steht auf der Bühne, das Soundsystem ist angeschlossen. Dasselbe gilt für Videos: Alles da. Das ist eine grossartige Sache.
JAB Du lebst also quasi auf einer Bühne.
PN Ich lebe quasi auf einer Bühne, richtig. Der Raum ist jedoch sehr gross: Zehn auf 20 Meter und fünf Meter hoch.
Entsprechend fantastisch ist die Akustik. 125 Dezibel…
JAB Wow. Und beschweren sich da die Nachbarn nicht ?
PN Die sind nur tagsüber da. Früher gab es, abgesehen von ein paar Sweat-
shops, gar keine Nachbarn. Damals konnten wir noch 24 Stunden am Tag Musik abspielen…
JAB Wie nimmst du New York heutzutage wahr ?
PN Momentan bin ich nicht oft in der Stadt. Ich bin ständig auf Tour.
JAB Davon abgesehen: Passieren in der Stadt in deinen Augen interessante Sachen in Bezug auf Musik ?
PN Ja, absolut. Jedoch kann ich keine Beispiele nennen – es gibt zu viele. Und du weisst ja, wie das mit diesen Künstlern ist. Erwähnt man den einen, ist der andere enttäuscht, da sein Name nicht gefallen ist…
JAB Du trittst öfter in Europa auf als in New York und in den Staaten allgemein. Wieso ist dem so ?
PN Das stimmt. Europa hat eine lange Geschichte bezüglich Kultur. Dazu kommt, dass in den Achtzigern in den Staaten in Sachen Kulturförderung vieles schief lief. In den Siebzigern wurde diesbezüglich noch grossartige Arbeit geleistet. Das wurde jedoch kurz darauf ruiniert. Nichts wurde mehr unterstützt. Und diese Strukturen wurden seither nicht wieder aufgebaut. Seit 20 Jahren ist nichts mehr passiert… In den Staaten ist die Situation wirklich prekär. Ausserhalb von New York gibt es auch nur ein paar wenige Orte, an denen ein Interesse für experimentelle Musik vorhanden ist: Los Angeles, San Francisco, Chicago. Und dazwischen liegen jeweils weite Distanzen.