Wie eine Schlange winden sich die klanglichen Pausen durch «Dazzle Anew»: Sie umrunden Bassschläge in die Magengrube rechterhand, ziehen an meditativen Glocken und Synth-Klirren vorbei. Sowohl eine helle, innere Ruhe und eine gewaltvolle Energie finden sich in diesem zweiten Stück auf Objekts gerade auf PAN erschienenem Album Cocoon Crush. Diese Dualität ist beispielhaft für die elf Tracks auf der LP, die zur Fahrt durch geheimnisvoll knisterndes tropisches Geäst und durch Szenen urbaner Dystopie einladen.
«Ich mochte die Idee, dass viele dieser Tracks wie eine Art Expedition sein können, wo man verschiedene Terrains und Umgebungen durchquert. Und auf dem Weg trifft man alles Mögliche an interessanten Kreaturen, an Flora und Fauna», erzählt TJ Hertz alias Objekt am Telefon von Berlin aus, wo der Produzent seit knapp zehn Jahren lebt. Vom Cover von Cocoon Crush schimmert in kristallinem Detail die exotische Pflanze namens Aechmea Blue Rain. Nähme man das Album tatsächlich zum Anlass für eine Expedition, man würde die Aechmea vermutlich im Unterholz entdecken.
Einen Produzenten wie Objekt so bildstark denken zu hören, überrascht. Sein Background ist sehr technisch: Hertz hat in Oxford Elektrotechnik studiert. Anschliessend zog er nach Berlin, um dort bei Native Instruments als Softwareentwickler zu arbeiten. In Interviews – unlängst etwa bei einer RBMA Lecture – scheut er sich nicht, seinen Produktionsprozess Schritt für Schritt aufzuzeigen: Wie er sich etwa zu Anfang jeder Produktionssession das Material vom vorherigen Mal anhört und sich Notizen macht, was er alles dran verändern möchte. «Ich könnte darüber stundenlang reden, ohne nichts mehr zu sagen zu haben. Vielleicht mache ich es mir damit leichter», überlegt er. Lösungsorientiert und detailversessen – die sachliche Denkweise des Technikers für eine Musik, die durchaus kompliziert anmuten mag, glitchig und experimentell durch den Raum springend. Nicht komplett abstrakt, aber doch eher schwer greifbar.
Und trotzdem: In TJ Hertz’ Musik finden sich unüberhörbar Emotionen. «Ich bin immer noch davon geleitet, was mich die Musik fühlen lässt», sagt er. Sowohl in seinem Debütalbum Flatland, das sich noch etwas eher an der Tanzfläche orientierte, als auch in Cocoon Crush blitzen immer wieder intensive, emotionale Eindrücke hervor. Wie Flashbacks. Das Tinnitus-ähnliche Fiepsen in «Rest Yr Troubles Over Me» – ist eine Bombe explodiert? Hat man gerade einen Hörsturz? Beides läuft aufs Gleiche hinaus, Ohnmacht und Beklemmung breiten sich aus. «Anspannung – Erleichterung, Stress – Euphorie, Schuld – Liebe», zählt Hertz selbst die Kontraste auf, die er mit Cocoon Crush durchlebt. Plus und Minus gleichen sich aus; das Ergebnis sollte ambivalent sein, ungewiss. Die turbulenten letzten vier Jahre seines Lebens finden sich in dem Werk.
Mit der Produktion des Albums begann er direkt nach der Veröffentlichung seines Debüts 2014. «Es war eine ereignisreiche Zeit, nicht nur in meinem professionellem, sondern auch in meinem Privatleben», sagt Hertz über diese Jahre. Er sei durch ein paar Beziehungen gegangen, mit ihm nahestehenden Menschen seien «komplexe» Dinge passiert. Dazu ein Umbruch im Berufsleben: Weil das mit der Musik immer mehr Raum einnahm, reduzierte er seinen Job bei Native Instruments zunächst auf Teilzeit, bevor er ihn schliesslich ganz an den Nagel gehangen hat. Als direkte Antwort auf diese Veränderungen seien die Tracks nicht entstanden, aber: «Ich glaube, das Ganze spiegelt sich schon in deren Stimmungen» – in denjenigen Texturen, die seine Tracks trotz ihrer Komplexität so zugänglich machen. Die dafür sorgen, dass das Projekt Objekt sich nicht als «experimentell» und «kompliziert» abgestempelt findet.
Auch Objekts DJ-Sets dürften dazu ihren Beitrag leisten. Mit mitreissender Energie schmeisst er Techno, Bass, Electro, Dancehall und Weiteres zusammen. Auf gerade Kicks verzichtet Hertz immer wieder. Stattdessen streut er dynamisch dichte Trommelrhythmen ein oder nimmt gleich ein ganzes Set aus sogenannten «no-kick rollers» auf. Wer Objekt im letzten Jahr auflegen erlebt hat, konnte zudem des Öfteren ein paar Drum’n’Bass-Tracks hören. Mit dem Genre beschäftigt er sich aber noch nicht sehr lange: «Erst seit kurzem finde ich, dass meine Plattensammlung divers genug geworden ist, dass ich mich wohler dabei fühle, Stückchen von Drum’n’Bass und Jungle in meine Sets zu werfen.» Genau dieser offene Ansatz, verbunden mit einem hohen Anspruch an sich selbst und das Publikum, macht seine DJ-Sets so spannend.
Auf Twitter hatte Hertz vor einigen Monaten das Problem der Work-Life-Balance als reisender DJ, Produzent und Erwachsener, der sein Leben auf die Reihe kriegen möchte, angesprochen. In letzter Zeit versucht er, nur noch an zwei oder drei Wochenenden im Monat zu spielen. «Einfach damit ich mich tatsächlich fühle, als würde ich in der Stadt leben, in der ich lebe», sagt Hertz. Die gewonnene Zeit könnte allerdings bald schon für sein nächstes Projekt draufgehen: Er hat gerade damit begonnen, sein erstes Live-Set vorzubereiten. Es soll sich an die aufgenommenen Tracks anlehnen, mit einer Lichtdesignerin macht er sich ausserdem Gedanken bezüglich der optischen Umsetzung. Man darf gespannt sein, wie diese Expedition verlaufen wird.