Es war mir immer ein Rätsel, wie man das Gezeter und Geplärre gut finden kann, das neuerdings als «Punk Rock» bejubelt wird. Kakophonie würde man meinen, die mehr mit Katzenjammer gemein hat, als mit Musik. So etwas hätte ich mir freiwillig nie live angehört, geschweige denn für eine solche Musikveranstaltung Geld berappt. Dann erkrankte Henry, unser Musikredaktor, an irgendeinem seltenen Fieber. Als Ersatz für den Bericht im Twopointsix wählte unser Redaktionsleiter, Geoffrey, ausgerechnet mich aus. Die Sex Pistols veranstalteten auf der Themse eine Feier zum silbernen Thronjubiläum der Queen. Und wir berichteten darüber.
«Du magst doch The Clash? Dann wird dir das sicher auch gefallen!»
Die Worte verliessen seine grinsende Fresse wie üblich begleitet vom süsssauren Duft von Black Pudding, den sich Geoff täglich wohl an die fünftausendmal in seinen feisten Schlund stopfte. Nur schon, dass er The Clash mit den Sex Pistols verglich. Seit Keith Levene weg war, legten die Jungs richtig zu und ersterer steckte seinen Schwanz bestimmt in den beschissenen Arsch von Johnny Rotten.
«Das klingt doch nach einem Job für dich, nicht?»
Für mich klingt das nach versoffenen Hippies und Möwenscheisse im Gesicht. Ohne die Möglichkeit einen schnellen Abgang zu machen. Mein Job war mir viel wert, also ging ich dennoch hin. Als das Boot ablegte, passierte zunächst nichts. Die Stimmung war wie auf der Eröffnung einer U-Bahn-Station, irgendwie paranoid und klaustrophobisch. Also standen alle rum und soffen Bier. Dann war da dieser Typ, Richard Branson, der mich mit seinem Gelaber über die Musikbranche zumüllte. Verdammt, wie kann man nur so ignorant sein und einfach drauflos labern wie ein beschissener Wasserfall. Leider konnte ich nirgendwohin fliehen. Also heuchelte ich Interesse und trank mehr Bier. Die Polizei war uns während der ganzen Fahrt mit Booten auf den Fersen. Als wir das Parlament erreichten, kreisten sie uns ein und die Sex Pistols begannen mit ihrem Konzert. Sie spielten auf mit «Anarchy in the UK» und legten gleich «God save the Queen» nach. Darin bezeichnen sie die Queen als idiotische Herrscherin eines Faschistenstaates. Auf dem Boot trafen sie damit den richtigen Ton: Das Publikum setzte sich aus Hippies, Punks und Journalisten zusammen. Alle gemeinsam wollten sie auf ihre Weise die verkommene Welt verändern. Und sich dabei besaufen. Die Szene erinnerte mich mehr an ein Irrenhaus als an ein Rockkonzert. Ich schätze, als das war es auch gar nicht geplant.
Irgendwann wurde der Stecker gezogen und es gab erste Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als das Boot zum Pier zurücksteuerte wartete dort bereits eine knüppelschwingende Truppe von Ordnungshütern. Die hatten einen harten Tag am Jubiläum der Queen hinter sich und mussten nun mitten in der Nacht hier für Ordnung sorgen. Sie waren dementsprechend schlecht gelaunt. Einige der Feiergäste forderten sie dann auch noch heraus, indem sie «Fickt euch, ihr Bastarde» schrien. Die wurden eingesackt. Opfer der staatlichen Repression. Was für Idioten. Ich schlich mich unauffällig davon und ging noch bei Jon im Nightingales auf ein Ale vorbei.
Versuch halt nicht wie ein verfluchtes Buch zu klingen, hat sie gesagt.
Deinen Lyrics fehle es an Tiefgang, hat sie gesagt.
«Hör dir mal Television an. Dann verstehst du, von was ich rede.»
«Ahhh, blabla, jaja, genau, mhm.»
Nancys volle Lippen öffnen sich, schliessen sich. Sie redet auf mich ein und überaus voll und munter bis über beide Backen strahlend, voller Endorphine und allerlei anderer Glückshormone sitze ich da und lausche ihrem harmonischen Gequatsche. Es geht – einmal mehr – um die Musik. Um meine Musik. Sofern man die Klänge, die ich auf meiner alten Mustang fabriziere, als Musik bezeichnen will. Dabei mache ich mir doch gar nichts daraus. Kaum hält man eine Gitarre in der Hand und labert etwas vor sich hin, schon ist man ein verfluchter Pionier und Lyriker. Ein Mitglied der Avantgarde, die sich so gerne in diesem Country, Bluegrass und Bluesschuppen an der Dreihundertfünfzehnten auf der Bowery einfindet. «Dort wird gerade Musikgeschichte geschrieben.» «Dort habe ich an einem Abend die Ramones und am nächsten gleich Patti Smith gehört.» Das muss man sich mal vorstellen. Und ich war zuhause und habe meinen Schwanz in Nancy gerammt und mir nichts dabei gedacht.
Es geht doch um Spass, verdammt. Den Spass, den die Dolls hatten. Oder wir, als wir gestern im Mudd waren und den Klängen der wunderbaren Deborah Harry lauschten. Ihr blondes Haar hat mich verzaubert und allzu gerne hätte ich ihre Hände berührt und fest zugedrückt und etwas Verruchtes in ihr Ohr geraunt. Sweet little Blondie. Als sie noch drüben im Max’s in Kansas City kellnerte, hätte ich oft die Möglichkeit gehabt. Aber ich hatte nie die Eier die toughe Debbie anzuquatschen. Dabei ist sie gar nicht so kantig drauf, wie sie sich an Konzerten öfters gibt und ihre Musik klingt eigentlich mehr nach Weichspüler. Und nicht, als würde John Lydon lauthals die Anarchie ausrufen.
Was soll ich sagen. Punk ist keine Musik, es ist eine Einstellung. Es ist das Raunen des verärgerten unteren Abschnittes dieser Gesellschaft, im Klangkörper einer Gitarre gefangen und neu aufgespielt. Es ist rohes Eisen. Und der Hochofen, aus dem es hervorgeht, glüht munter weiter. Drüben im Studio 54 tanzen die Discojünger ausgelassen zur Musik von Donna Summer. Lauthals jubeln sie, doch ihr Gestöhne geht im Dreiklang der sonoren Stimme der Disco-Queen unter. Schon wieder Musikgeschichte.