Über einem Kaffee und einem halben Dutzend Selbstgedrehten sprach Kristoffer Cornils mit der Hamburgerin über ihren eigenen Werdegang als Produzentin und DJ, Gender Trouble und Internetmonopolismus.
Kristoffer Cornils In Interviews wird sehr häufig angesprochen, dass deine Mutter Technik gegenüber sehr skeptisch war. Was hat es damit auf sich?
Helena Hauff Ich glaube, meine Mutter war vor allem sehr sparsam und nicht wirklich an Musik interessiert. Zumindest nicht in dem Sinne, als dass man sie besitzen müsse.
KC Du bist dann in die Bibliothek gegangen und hast dir CDs auf Tape überspielt.
HH Ja. Ich bin rein nach Sound vorgegangen, habe nie Recherche betrieben und keine Unterschiede gemacht – wenn ich es mochte, war es gut. Bis ich dann anfing, in Klubs zu gehen und merkte, dass es Unterschiede zwischen gerader und nicht gerader Bassdrum gibt und was man im Klub spielt und was nicht.
KC Wann fingst du an, aufzulegen?
HH Manchmal frage ich mich, ob ich mit dem Auflegen angefangen habe, um eine Entschuldigung zu haben, Platten zu kaufen. [Lacht] Ich habe mir zwei Turntables gekauft, mir Beatmatching beigebracht und ein, zwei Mal in einer Bar gespielt. Dann fragte ich einen Freund, ob ich nicht im Pudel auflegen könne. Wie man Leute zum Tanzen bringt und auf dem Dancefloor Energie erzeugt, das habe ich dort gelernt. Es ist der perfekte Rahmen, um sich selbst etwas beizubringen.
KC Meinst du, die gesamte Szene sollte sich wieder in kleinere Klubs, den Underground zurückziehen?
HH Schwierige Frage, denn was ist Underground? Ich möchte, dass die Leute weniger voreingenommen in Clubs gehen. Ich bin zwar selbst wählerisch, will aber, dass die Leute aufhören, in diesen Kategorien zu denken, also ob etwas nun Mainstream sei oder nicht.
KC Bestehen regionale Unterschiede? Herrscht in kleineren Städten mehr Wertschätzung vor, unabhängig von szeneinternen Distinktionen?
HH Vielleicht. Ich habe einmal in Schwerin gespielt. Dort war ich diejenige mit den Vorurteilen, denn ich dachte, die würden nicht auf mein Set klar kommen. Das war Quatsch, die haben sich total gefreut! Ich weiss nicht, ob es daran liegt, dass in kleineren Städten weniger passiert und man deshalb alles mitnimmt oder weil dort nicht in Szenekategorien gedacht wird.
KC Wann hast du mit dem Produzieren angefangen?
HH Vor zwei, drei Jahren. Ich kaufte mir eine 303 von einem Freund und habe einen MPC 2000 von einem anderen Freund ausgeliehen bekommen, aber mittlerweile ist der meiner. [Lacht] Dann habe ich angefangen, auszuprobieren und viel mit f#x als Black Sites zusammen gemacht. Mittlerweile produziere ich vorwiegend alleine.
KC Den Laptop meidest du als Arbeitsinstrument anscheinend. Wieso?
HH Das ist ganz simpel. Ich versteh das Ding einfach nicht! Erstens ist meiner alt und funktioniert nicht richtig, zweitens will ich mir keinen neuen kaufen und drittens bin ich damit nicht aufgewachsen. Erst 2008 habe ich meinen ersten PC gekauft. Natürlich hatte ich mal am PC gesessen und konnte einen bedienen. Aber ich habe mich nie wirklich damit beschäftigt. Ich habe versucht mit Ableton zu arbeiten, hatte dann aber so merkwürdige Clicks in meinen Tracks, die ich nicht wegbekomme, weil mein Computer einfach zu langsam ist. Deswegen benutze ich nur Audacity – das verstehe ich zumindest! [Lacht] Meine Abneigung gegenüber PCs hat nichts mit einer Ideologie zu tun. Ich weiss einfach nicht, was ich damit machen soll. Ich finde es sehr beeindruckend, wenn Leute das gut können, sich Synthesizer zusammenstellen und so weiter – und ich mag auch Technik und Physik sehr gerne, den Computer an sich jedoch nicht.
KC Was mich wieder auf deine Arbeit mit der 303 bringt. Ich hatte mich gefragt, ob du nicht ganz bewusst eine bestimmte Soundästhetik anpeilst.
HH Ja. Ich stehe total auf diesen analogen Sound und brauche den Computer insofern nicht. Das ist auch eine Entscheidung. Eventuell liesse sich das aber auch mit dem Computer reproduzieren.
KC Es existiert da ein Dualismus: Während viele den PC für seine unbegrenzten Möglichkeiten preisen, finden andere ihr Heil gerade in der Reduktion, die mit analoger Hardware einhergeht.
HH Gerade am Anfang ist es natürlich sinnvoll, wenn die Möglichkeiten begrenzt sind. Bis heute habe ich meine Maschinen nicht bis ins letzte Detail verstanden. Da ist noch viel Spielraum, viel, das ich lernen kann. Allein da sind die Möglichkeiten ja schon unbegrenzt. Ich möchte mein Instrument so gut kennenlernen wie möglich.
KC Du verfolgst zudem einen eher improvisatorischen Ansatz.
HH Ich nehme die Tracks in einem Take auf und packe höchstens noch ein zweites oder drittes Layer darüber. Ich spiele den Track am liebsten so, wie er ist: Live. Manchmal muss ich meine Nase benutzen, um eine Taste zu halten.
KC Da stellt sich die Frage, ob du nicht mit einer gewissen DJ-Mentalität an das Produzieren herangehst.
HH Es ist schon ein bisschen wie Auflegen, denn ich möchte im Track genau dieselbe Energie wie im Klub haben. Einen Track zu konzipieren und ihn zusammenzuschneiden, das ist nicht meins. Ich bin eher körperlich als geistig dabei. Ich denke nicht viel über Strukturen nach, sondern setze auf Realtime-Recording. Wenn ich im Klub denke, dass ich etwas mit Claps brauche, spiele ich einen Chicago-Track mit 707; oder wenn ich einen Break will, dann kommt ein Stück, das drei Minuten ohne Beats auskommt. So ist das auch beim Produzieren: Will ich die Clap, spiel ich die Clap. Will ich den Break, kommt der Break.
KC Dein Sound wird in Reviews gerne als «dark» beschrieben. Würdest du das so unterschreiben?
HH Actio Reactio oder die Black Sites-EP finde ich persönlich nicht «dark». Vielleicht eher psychotisch, verstörend, primitiv. «Dark» höchstens im Sinne von «nicht happy-happy». Ich kriege Aggressionen bei überfröhlicher Musik. Ich kann das nicht ab! [Lacht] So stelle ich mir die Hölle vor. Was würdest du denn sagen?
KC Roh. Oder aber – und das ist nicht negativ gemeint – flach, durch den analogen Sound bedingt. Eine Art Gegenentwurf zum Ableton-Hochglanz.
HH Es ist schwierig zu sagen, was dark, roh oder flach sei. In Gesprächen bemerke ich immer wieder, wie anders die Wahrnehmung von solchen Wörtern ist. Im Grunde müssten vor jedem Gespräch, in dem solche Begriffe Verwendung finden, diese zuerst definiert werden. Was in Reviews natürlich nicht geleistet werden kann.
KC Allerdings zeigt deine Musik natürlich Einflüsse auf, die mit Wörtern wie «dark» assoziiert werden – Wave vor allem.
HH Der Unterschied ist wohl eher: Ist es kalt oder warm? Das heisst: White oder Black Music? Mein Einfluss ist weniger Funk, sondern eher Garage Punk, Wave, Post-Punk. Das eine ist eher warm und freundlich in Hinsicht auf die Melodien, das andere reservierter. Das lässt sich vielleicht als «dark» bezeichnen.
KC Du hast eben das Wort «primitiv» verwendet. Was meinst du damit?
HH Sich zu reduzieren und nicht zu viel zu wollen. Es ist schwerer, etwas Simples zu machen, das sehr viel Kraft hat und präsent ist. Das ist für mich eine Form von Genialität. Die ganze Klubkultur ist an sich etwas Primitives, Archaisches. Du gehst hin, betrinkst dich, willst ein bisschen dumm sein und tanzen. Das fasziniert mich daran und ich mag genau das auch an der Musik.
KC Siehst du die Actio Reactio-EP dann mit ihrer komplexen Polyrhythmik als Klubplatte?
KC Wie seid ihr mit dem Black Sites-Projekt zu PAN gekommen?
HH Dank meiner Bookerin. Die kam auf mich, weil sie einen Mix von mir entdeckt hatte. Den hat sie an diverse Leute geschickt, darunter eben auch Bill und Blackest Ever Black. Letztere baten mich, einen Mix mit purem Electro zu machen. Dann hatte ich eine Seite fertig, aber keine Lust mehr auf Electro und habe die zweite Seite mit Noise bespielt. Ich hatte Lust auf etwas Obskures, so kam der Name zustande.
KC Ich musste bei dem Namen Obscure Object direkt an Luis Buñuel denken beziehungsweise seinen Film Cet obscur objet du désir. Was mich wiederum auf die Frage brachte, ob dein Mix nicht vielleicht generell mit dem Mythos vom DJing als Storytelling spielt. So gibt es auf der Noise-Seite einen irritierenden Moment: Eine Weile lang ist nichts ausser vereinzelten Störgeräuschen zu hören.
HH Daran kann ich mich gerade nicht erinnern. [Lacht] Ich mag aber die Idee, über den Abend hinweg eine emotionale Geschichte ohne Inhalt zu erzählen – eine Art abstrakte Geschichte. Von Luis Buñuel bin ich aber auch ein grosser Fan!
KC Einer deiner Tracks wurde im Rahmen einer Radiosendung von female:pressure gespielt. Wie stehst du zu dem Projekt und für wie wichtig erachtest du es als Institution?
HH Meine grosse Hoffnung ist, dass es irgendwann keinen Unterschied mehr macht, ob ein Mann oder eine Frau auflegt. Was ich nicht mag, ist die Idee, nur Tracks von Frauen zu spielen. Wenn also nicht mehr der Fokus auf der Musik selbst, sondern nur darauf liegt, dass diese Musik von Frauen gemacht wurde. Das hat ebenfalls etwas Diskriminierendes. Wenn es zufällig passiert in dem Sinne, dass es eben musikalisch passt, dann ist das super. Sonst werde ich ja nur eingeladen, weil ich eine Frau bin!
KC Das erinnert an die klassische Quotendebatte. Die von female:pressure vorgestellten Zahlen sind aber erschreckend.
HH Ich wünsche mir natürlich, dass mehr Frauen in Klubs und Festivals spielen, wenn sie super sind. Ich frage mich manchmal, wie viel diese Statistiken aussagen, wenn es prozentuell weniger Frauen gibt, die das überhaupt machen. Lädst du zehn Prozent der Frauen, die auflegen, und zehn Prozent der Männer, die auflegen, ein, dann hast du wahrscheinlich trotzdem 99 Männer und eine Frau. Aber vielleicht liege ich auch falsch, kenne gar nicht so viele Frauen, weil ihnen keine Plattform geboten wird.
KC Das liegt wohl auch daran, dass Männer mit Männern losziehen, sich verbrüdern und später einander die Gigs zuspielen. Zumindest in Berlin ist das sehr ausgeprägt. Wie ist das in Hamburg? Das Publikum scheint dort gemischter.
HH Viele Leute ziehen nach Berlin, weil sie eine bestimmte Vorstellung von der Stadt haben. Nach Hamburg zieht man nicht, weil man von dieser Stadt eine Idee hätte oder des Styles wegen. Das ist ein Unterschied, der ein gemischteres Publikum mit sich bringt. Ich kenne aus dem Pudel einige weibliche DJs, die super Musik spielen. Viele gibt es im Vergleich jedoch nicht. Ich arbeite da auch am Tresen. Mindestens zwanzig Mal kamen Männer auf mich zu und fragten, ob sie dort auflegen könnten – aber nur eine Frau. Vielleicht trauen sie sich nicht? Ich weiss es nicht.
KC Die mangelnde Akzeptanz für weibliche DJs lässt sich allein aus den Kommentaren unter Boiler Room-Videos herauslesen. Aus welchen Gründen hast du dich eigentlich gegen eine Facebook-Page entschieden? Einen Soundcloud-Account hast du ja.
HH Ich hatte irgendwann genug davon, dass immer nur auf Soundcloud anstatt meiner eigenen Homepage verlinkt wurde. Mit dem Account habe ich versucht, etwas Kontrolle wiederzuerlangen. Auf Facebook bin ich ganz bewusst nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass ich keine Computer mag, im Gegenteil: Mir ist das Internet zu wichtig. Ich bin gegen die Zentralisierung des Internets, die Monopole von Google, Facebook oder auch Soundcloud. Monopole auf Informationen, Kontaktpflege oder Musik. Ich habe nichts gegen diese Seiten, aber es darf nicht passieren, dass es keine Alternativen mehr gibt, anderes nicht mehr funktioniert und wahrgenommen wird. Abgesehen davon, dass viele dieser Seiten die User in ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränken und es schwer ermöglichen, Inhalte selbst zu generieren, ist doch das Gefährliche daran, dass am Ende vielleicht ihre gesamten Aktivitäten, Ideen und Materialien von einer Firma verwaltet werden, die dann das Monopol auf jegliche Information hat. In der „realen Welt“ lehnt man das ja auch ab, man möchte lieber den kleinen Krämerladen als den Supermarkt. In der digitalen Welt ist alles voll von diesen Supermärkten. Man geht da rein, befriedigt sein Bedürfnis nach Sozialleben oder holt sich seine Sounds und merkt gar nicht, was passiert. Wenn man zum Beispiel ganz selbstverständlich Informationen auf Facebook teilt, die für die Öffentlichkeit gedacht sind, ist eine Firma zwischengeschaltet, die Geld mit jedem einzelnen User macht.
KC Für mich als Musikjournalist hat Facebook allerdings grossen Nutzen – dort fliessen gebündelte Informationen in Echtzeit. Das steht dir allerdings nicht zur Verfügung, wenn du nicht dort angemeldet bist.
HH Eben. Man wird von Informationen ausgeschlossen, wenn man sich bei diesen Diensten nicht anmeldet. Du bist Teil des Klubs oder du bist komplett raus. So darf das nicht funktionieren. Natürlich, wenn das jemand ganz pragmatisch nutzt, um mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben – meinetwegen. Es ist nicht alles nur negativ. Aber der Umgang damit ist zu naiv. Ich bin nicht bei Facebook, weil ich mir ein demokratisches, dezentrales Internet wünsche. Das war doch irgendwann einmal die Idee, dachte ich.
Fussnoten:
Luis Buñuel (*1900 – †1983) war ein spanischer Regisseur, dessen Werk gemeinhin dem Surrealismus zugerechnet wird. Einer seiner bekanntesten Filme, Un chien andalu, entstand 1929 gemeinsam mit Salvador Dalí. Cet obscur objet du désir war Buñuels letzter Film, uraufgeführt wurde er 1977.
Pharoah Sanders (*1940) ist ein US-amerikanischer Jazz-Musiker, der unter anderem mit Sun Ra und Don Cherry auftrat und diverse Alben, darunter einige auf Impulse!, veröffentlichte.
Obscur Object erschien auf Krokodilo, dem Tape-Sublabel von Blackest Ever Black.
female:pressure ist eine internationale Datenbank für weibliche DJs und Produzentinnen aus dem Bereich der elektronischen Musik. Anfang 2013 veröffentlichte das Netzwerk eine Statistik, in welcher die Verteilung von Frauen, Männern und gemischten Acts auf Festivals, Labels und in Charts gelistet wurde.