Ralf Köster Natürlich, es gibt gute Sachen in Hamburg – es gibt das Golem, es gibt das Hafenklang, die MS Stubnitz ist wieder hier. Das alles hat Bestand. Aber generell hat sich die Rolle von Klubs in den letzten Jahren stark verändert – immer mehr in Richtung Eventkultur. Das bedeutet, dass man die Leute bedienen soll. Das machen wir nicht. Dieses Nicht-Bedienen birgt natürlich das Risiko, dass man den Laden auch mal leer spielt. Aber das ist für uns ganz wichtig – dass wir kein Dienstleister sind, der einfach bedient. Und das ist auch der Grund weshalb der Pudel nach über 20 Jahren noch funktioniert. Wenn man nur bedient, dann wird man als Klub nicht älter als fünf, sechs Jahre.
Anderseits erfindet sich der Pudel immer wieder neu. Da wir uns inhaltlich nicht festlegen, verwirren wir die Leute auch schon mal. Die sagen dann: «Nicht meins, das war kein Techno». Uns ist es aber wichtig widerspenstig zu bleiben.
Es ist leider so, dass es Klubs wie den Pudel bald nicht mehr geben wird. Auch wir sind natürlich gefährdet. Hamburg überlegt grade, ob sie Olympia holen. Wenn das kommt, dann ist es vorbei. Als wir in den Neunzigern hergekommen sind, waren wir alleine. Es lag Hundescheisse auf der Strasse und drüben war ein toter Hafen. Jetzt ist es wie in anderen Städten: Die Hafengegend ist sehr begehrt. Entsprechend haben wir auch das Problem, dass die Aufmerksamkeit auf uns gerichtet ist. Die Stadt wirbt mit uns: «Aufregende Subkultur-Landschaft». Und gleichzeitig tritt sie uns mit Auflagen gegen das Schienbein. Lärmschutz, GEMA – das macht es nicht einfacher. Als ich damals in den Achtzigern nach St. Pauli kam, da drückte ich dem Wirtschafter eines Pleite gegangenen Puffs 200 Deutsche Mark in die Hand und der Laden gehörte für eine Woche mir. Da hat man eine Anlage reingestellt und fertig. Keine Rechnungen, keine GEMA, nichts.
Ich wurde in den Achtzigerjahren sozialisiert. Bei uns hiess es damals «live fast, die young». Es war nicht vorgesehen, dass man alt wird. Entsprechend dachte ich, ich drück auf den Knopf und das war’s. Ich hab keine Zähne mehr im Maul und alles ist krumm. Damals ging man anders mit seinem Körper um als heute. Die jungen Leute von heute sind da schon sicherheitsbewusster. Die Karriere kommt zuerst. Das überrascht mich. Und ich bin gespannt wie sich das entwickeln wird. Ich finde es auch erstaunlich wie schlau die Leute sind. James Blake war vor einer Weile hier zu Gast für ein DJ-Set, da war er 18 Jahre alt. Der hat nur schlaue Sachen gesagt. Auch die Jungs vom Veranstaltungskollektiv Ill, oder Kris [f#x], Nika und so, die sind alle sehr weit für ihr Alter. Das bewundere ich. Ich hingegen war in dem Alter ein totales Arschloch…
Ich warte aber immer noch auf das 16-jährige Genie, das irgendwo in einer Kammer sitzt und sich das neue Ding ausdenkt. Es passiert einfach nicht. Die letzten grossen Dinger waren Techno und House, Hip Hop und dann kam nichts mehr. Was wir jetzt hören, ist einfach eine Wiederholung. Was nicht nur schlecht ist. Es ist ja nicht nur ein Wiederholen sondern auch ein Fortführen – also eine Evolution. Ich frage mich dann auch, ob man überhaupt etwas Neues machen kann? Wir leben ja in einem Retro Zeitalter. Aber ich warte immer noch drauf, dass irgendwer etwas total Verrücktes macht. Und ich freue mich drauf.
Es wird aber keine Jugendrevolution mehr geben, wie Rock’n’Roll oder Punk oder Hip Hop oder Techno. Das wird es nicht mehr geben. Was ich schade finde, da ich dieses Gefühl geliebt habe. Ich habe ja mehrere Jugendrevolutionen in meinem Leben miterlebt. Das werden die jungen Leute nicht mehr erfahren können. Diese Begeisterung, wenn sich plötzlich alle auf das neue Ding schmeissen. Dieser Idealismus der da aufgeht: «Ich gebe meinen Job auf, ich bin jetzt Punker.» Das gibt es nicht mehr. Und dadurch kommt wohl dieses Sicherheitsdenken. Zuerst Mal eine Ausbildung, Studium und dann mache ich nebenbei elektronische Musik in meinem Schlafzimmer. Wenn’s nicht läuft, dann werde ich Professor für Informatik oder sonst etwas. Aber die jungen Leute wollen es schon – dieses Nachtleben, das anrüchig ist. Das ist schon noch in ihnen drin. Darum kommen die auch nicht vor Mitternacht in den Klub. Wir haben es sonntags probiert – es kam aber keiner. Ich frage mich, was die Leute davor machen. Die kucken doch nicht bis 2 Uhr Tatort! Die kommen wirklich hier um 2 Uhr nachts an. Nüchtern.
Kris Jakob Ich war an einem Sonntagnachmittag zum ersten Mal im Pudel – an einem Openair. Das war etwa vor sechs Jahren. Eigentlich bin ich aus Süddeutschland. Schwarzwald. Auf jeden Fall haben an besagter Veranstaltung Modeselektor gespielt und ich sah das erste Mal auch Ralf und Tim auflegen. Von da an kam ich jede Woche hier hin – viel auch sonntags. Plötzlich war ich drei Mal die Woche hier, dann immer öfters. Und zwei, drei Jahre später durfte ich selber hinter dem DJ-Pult stehen. Der Pudel hatte dann auch eine unterstützende Wirkung bezüglich meiner eigenen Produktionen. Ich mache seit etwa zehn Jahren auf eigene Faust Musik. Oft ist man da am hadern – wo soll es musikalisch hingehen. Es hat so viele inspirierende Abende gegeben – gerade an Sonntagen. Wenn da irgendwelche Nerdfrickler spielen, motiviert das dann im Sinne von «Ok, ich mache einfach weiter. Ich bleib sperrig! Und ich mache mir bloss keine Gedanken mich irgendwo reinzukategorieren.» Das macht Mut zu Eigenständigkeit.
Nika Breithaupt Ich war zum ersten Mal hier, da habe ich noch nicht hier gelebt. Ich bin mit ein paar Freunden nach Hamburg gefahren und dabei gingen wir auch in den Pudel. Mein erster Eindruck war «Wow, was ist das für ein Laden.» Ich kannte ihn damals nur vom Hörensagen. Es muss ein Sonntag gewesen sein, weil ich hab auch Ralf auflegen sehen – ein Weihnachtsmann der Drum’n’Bass spielt. Es waren ungefähr zehn Leute da. Und ich wusste sofort: «Das ist ein schräger, besonderer Ort.» Irgendwann bin ich nach Bremen gezogen und habe da mein Studium angefangen. Während der Zeit kam ich immer wieder nach Hamburg; und der Pudel war ein Ort, an dem ich mich musikalisch wohl fühlte. Nach zwei Jahren bin ich nach Hamburg gezogen. Ich war dann eine Zeit lang mit Alex [Solman] zusammen, der die Flyer für MFOC macht. Wir hatten uns auch an einem Sonntag kennengelernt. So war ich schon in der Familie drin. Dann hab ich angefangen hier zu arbeiten. Charlotte, die auch Personalchefin ist, gestaltete immer einen Mittwoch pro Monat. An einem ihren Daten konnte sie irgendwie nicht und da hat sie mich gefragt, ob ich Lust hätte einzuspringen. Ich hatte aber keine Ambitionen DJ zu werden – das hat sich bis heute nicht geändert. Ich lege auch vor allem hier auf. Wie auch immer, so wurde ich immer tiefer reingezogen. Irgendwann begann ich dann auch selber Veranstaltungen durchzuführen. Auch auf meine musikalische Entwicklung hatte der Pudel einen ganz grossen Einfluss.
KJ Würde das hier zu Ende gehen… einen neuen Ort wie diesen zu schaffen – das wäre gar nicht möglich. Der Ort ist voller Geschichten Es gibt Leute, die haben hier jemanden vor 15 Jahren kennengelernt und kommen deswegen immer wieder her. Auch für mich ist es immer sehr emotional hier reinzukommen.
NB Total. Für mich sind die Wände ein Sinnbild dafür. Die haben die ganzen Jahre regelrecht aufgesaugt.
KJ Im Pudel gibt es keine Regeln – ausser dass keine Idee im Keim erstickt werden darf. Und dass sonntags Ralf und Tim irgendwann spielen. Davon abgesehen gibt es keinen Tag, an dem irgendetwas vorgegeben ist. Es ist immer anders. Man kommt am Montag rein und es läuft klassische Musik und am Montag darauf findet irgendein Konzert statt. Dadurch kommt man auch immer unvorbelastet her. Oft kommen die Leute einfach auf ein Bier vorbei und finden sich in einer Nacht wieder, die man gar nicht erwartet hätte.
KJ Ich war in den letzten fünf Jahren oft hier und es hat sich tatsächlich nicht so recht abgebraucht. Dadurch dass der Pudel auch immer geöffnet hat, seit Jahren, ist er einfach für einen da. Also wenn ich an einem Dienstag raus will, muss ich mir nicht überlegen «Ah, der Klub hat nur von Donnerstag bis Sonntag auf». Es gibt halt immer die Option, hier hin zu kommen, wenn man das Bedürfnis danach hat. Jeden Tag. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, ohne den Pudel. Da wäre ich schon aufgeschmissen. Man kann nicht mehr ohne.
KJ In Hamburg gibt es diese Tech-House-Szene – wenn man es «Szene» nennen will. Es gibt auf jeden Fall ein paar Klubs, die auf diese Musik setzen Der Ballsaal, das Egon. Ich fände es auf Dauer sehr frustrierend, Teil einer solchen Szene zu sein. Zumal es Vorgaben gibt, wenn man an besagten Orten veranstalten will. Die Veranstaltungen müssen dann eben in diese Schublade passen. Und persönlich finde ich, dass jene Schublade an sich schon ganz schön klein ist. Im Pudel ist das anders. Es ist nur schon toll, für einen Abend hier Platten zu packen. Man kann völlig unterschiedliche Sachen mitnehmen. Und die kommen dann zum Einsatz; obwohl das eine musikalische Wendung bedeutet, die man selber nicht erwartet hätte.
KJ Die Frage ist halt, wie weit man auf so etwas überhaupt eingehen darf, ohne sich irgendetwas zu verbauen. Man sollte, in meinen Augen, einen Abend auch öfters brechen. Ich mache das manchmal, wenn experimentellere Acts hier spielen. Ich please die Leute zu Beginn und führe sie so quasi auf eine falsche Fährte. Das funktioniert manchmal super, weil sich die Leute schon so heimelig fühlen und dann… Buff, ein Cut! Das ergibt interessante Effekte. Und die Besucher haben das schon ein bisschen auf dem Schirm. Alles kann passieren. Es gibt oft auch Leute, die völlig fasziniert blieben, weil sie die Musik, die gespielt wird, noch nie gehört haben. In anderen Klubs würde ein solcher Cut wohl einfach die Tanzfläche leeren. Es gibt ja diese Party-Konzepte Zu Beginn schauen, dass die Leute etwas trinken und bleiben, ein bisschen Atmosphäre schaffen,… Hier kann man das kompromissloser angehen.