Im Juni 2016 traten Olsen und Patiño im Rahmen des wundervollen Saturnalia-Weekenders im Mailänder Macao auf: In rot-weiss-blauen Trainingsanzügen gekleidet, spielten sie nicht nur auf Computer beziehungsweise Snare-Drum und Effektgeräten, sondern rannten, machten Liegestütze und hüpften umher. Rave trifft Sportunterricht trifft Marschmusik – eine grandiose Performance! Just nach dem Auftritt trafen Olsen und Patiño Guy Schwegler, Remo Bitzi und David Huser von zweikommasieben und unterhielten sich mit ihnen über Tiëstos Olympia-Performance anno 2004 in Athen, ein potentielles Under Armour-Endorsement sowie Patiños Gastspiel bei Evol sowie Olsens Soloalbum Bass Drum! (13dB Records, 2014). Dazwischen fand so etwas wie ein Interview statt. Und zwar folgendes:
Guy Schwegler: Eröffnungsfrage – kennt ihr einen guten Witz?
Rubén Patiño: Errrrm, wir kennen einen Witz, ja… [Pause]
Morten J. Olsen: Nein…
Remo Bitzi: Ok, dann brauchen wir eine andere Eröffnungsfrage – müsst ihr viel trainieren, um die Performance durchführen zu können? Oder sind die Performances die einzigen Trainingseinheiten, die ihr absolviert?
MJO: Nun, man kann sagen, dass wir die Performances machen, um in Form zu bleiben.
RP: Genau, je öfter wir gebucht werden, desto fitter sind wir.
RB: Solltet ihr also mal richtig berühmt werden, dann würdet ihr in richtig guter Form sein.
RP: Genau, dann kriegten wir Six Packs.
RB: So weit ist es also noch nicht?
RP: Nein, nein.
GS: Nun, wir wollten über Humor reden – gibt es in euren Augen humorvolle Aspekte in eurer Arbeit?
MJO: Absolut. Aber diese Aspekte sind ziemlich ernst.
RP: Es handelt sich dabei eher um Kommentare.
MJO: Ich glaube, wir versuchen das jeweils auszugleichen. Wir wollen uns nicht über andere Leute lustig machen. Aber wir machen uns über uns selber lustig und nehmen uns nicht allzu ernst. Gleichzeitig wollen wir aber – idealerweise – grossartigen Sound produzieren. Humor findet auf einer anderen Ebene statt; weil wir eben verdammt tighte Musik machen. Diese Aspekte sollen im Gleichgewicht sein – das ist unser Hauptanliegen.
MJO: Gleichzeitig versuchen wir uns auszublenden und die Sache aus der Distanz zu betrachten. Wir kamen zum Schluss, dass es tatsächlich ziemlich lustige Aspekte gibt und diese versuchen wir zu verstärken oder auf die eine oder andere Art hervorzuheben. Wir versuchen dumme Sachen in unsere Musik aufzunehmen. Beispielseise die sportlichen Aspekte. Das sind ganz simple Referenzen zur Primarschule – diese Spiele, die man spielte oder spielen musste, als man aufwuchs. Manche Leute haben lustige Erinnerungen daran, sie denken, es war komisch. Aber tatsächlich war das ziemlich ernst.
MJO: Ich meine, wenn man performt – oder nur schon, wenn man auf einem PA vor Leuten spielt, dann liegen die beiden Bereiche von etwas Durchdachtem und etwas Lächerlichem nahe beieinander. Manchmal wird es Theater – es ist nicht mal mehr gut, nur noch Theater. Genau damit spielen wir. Wir fragen uns Wie sind diese Bereiche abgesteckt? Und können wir sie ein bisschen bewegen, ein bisschen nach links oder rechts verschieben? Gewissermassen machen wir uns selber lächerlich.
RP: Es besteht immer das Risiko, dass man als Clown wahrgenommen wird. Ich denke, wir sind eine Art Clowns.
RB: Die «Sache» von der ihr spricht, das sind Klubs, richtig? Stimmt entsprechend die Annahme, dass ihr hauptsächlich dafür gebucht werdet?
RP: Tatsächlich kommt es auf das jeweilige Land an. In Spanien werden wir zum Beispiel in Auditorien gebucht, [kichert] weil die unsere Performances nicht als Klub-Intermezzo verstehen.
RP: Wir haben unsere Performance so konzipiert, dass sie um 3 Uhr nachts funktioniert. Wenn wir um 22 Uhr spielen, sind wir einfach der experimentelle Opening Act… Aber wisst ihr, was dann oft passiert? Die Leute sagen «Hätten wir das gewusst, hätten wir euch für den 3-Uhr-Slot gebucht.»
MJO: Wir wollen das Ding sein, nach dem sich die Leute fragen «Was ist da gerade passiert? Das passte nicht!» Das ist unsere Idealvorstellung. Normalerweise werden die Leute sehr enthusiastisch und schöpfen plötzlich neue Energie und dann wird’s spannend. Aber leider wagen sich nur wenige Promotoren, uns für diesen Slot zu buchen…
RB: Das ist also noch nie passiert?
MJO: Nur ein paar Mal.
RB: Und wie hat das funktioniert?
MJO: Sehr gut.
RP: Wir haben zwei Mal in Moskau gespielt und wir sind ziemlich abgegangen und den Leuten hat das gefallen. Ja, ja.
RB: Haben die Leute aus dem Publikum auch mal bei den Übungen mitgemacht?
RP: Ja, und das ist interessant, weil da der Macho-Aspekt ins Spiel kommt. Wir traten zum Beispiel in Bukarest auf und da war ein Typ, der mit uns Liegestütze machte. Aber natürlich machte er drei Mal mehr als wir. [Lacht] Immerhin hat er mitgemacht – irgendwie haben wir das ausgelöst.
RB: Habt ihr eine Ahnung, warum ihr solche Reaktionen auslöst?
MJO: Vielleicht weil wir normalerweise nicht auf einer Bühne, sondern inmitten der Leute spielen. Ich denke, das bringt eine andere Körperlichkeit und Dynamik mit sich, als bei jemandem, der auf einer Bühne mit Maschinen spielt. Man hat eine andere Distanz zur Sache. Auch die akustische Komponente, die wir integrieren, kann etwas auslösen – vielleicht weil es etwas Direktes hat.
GS: Wenn wir schon von dieser akustischen Komponente sprechen – und das ist vielleicht eine gewagte Aussage. Im Rahmen elektronischer Musik sind Live-Drummer meistens scheisse.
[Gelächter]
GS: …oder sie wirken zumindest deplatziert.
RP: Ja, aber Morten ist eine Drum Machine.
GS: Ok. Aber er ist immer noch ein Drummer.
MJO: Das nehme ich an…
GS: Wie gehst du denn an dieses Projekt heran?
MJO: Vielleicht kann man sagen, dass die Idee dahinter ist, akustische Elemente in elektronische Musik zu integrieren. Das ist es, was wir eigentlich zu machen versuchen. Ich meine, das Wichtigste ist – das hatten wir bereits –, dass die Sache ausgeglichen ist. Davon abgesehen gibt es einige interessante Aspekte – zum Beispiel haben wir oft Probleme mit PAs. Normalerweise findet man in einem kleinen Klub eine gute Anlage, die gut klingt, wenn ein DJ eine gut gemasterte Platte spielt. Aber sobald man ein akustisches Instrument integrieren will, braucht man eine andere Verstärkung. Das ist ein technischer Aspekt, über den nicht oft gesprochen wird. Weiter gibt es diese Vorstellung, dass man eine Maschine vermenschlicht oder menschlicher klingen lässt – unsauber und unregelmässig. Man versucht den Sound – mikroskopisch – abzuändern. Ich versuche das Gegenteil zu machen. Aber sogar wenn ich das Hi-Hat wirklich straight spiele, gibt es noch Unterschiede – mein Spiel bleibt menschlich. Daran denke ich jeweils, wenn wir versuchen, ein Stück zu schreiben.
RP: Er spielt so strikt, so tight, so starr wie nur möglich; wie eine Maschine…
MJO: Ja, ja. Ich versuche zu einer Maschine zu werden, aber offensichtlich scheitere ich. In diesem Zwischenbereich finden wir dann unseren Sound.
RB: Mir gefällt dieses «so strikt wie möglich» Mantra sehr.
MJO: Ja, aber das Ding ist, dass die Realität so gar nicht strikt ist; aber doch so strikt wie möglich.
RB: Genau darum mag ich es – «…wie möglich» birgt immer etwas von einem Kompromiss. Als ich euch vorhin spielen sah, da hatte ich diese Raster im Kopf. Alles machte sehr viel Sinn – dieses 1-0-1-0-Ding. Es war perfekt. Gleichzeitig war es dumm.
GS: [Lacht]
RB: Das meine ich als Kompliment. Die Abfolge der einzelnen Sequenzen der Performance schien irgendwie offensichtlich – nach einer Weile hatte man es raus. Anderseits ist die Kombination der verschiedenen Elemente ziemlich überraschend – Rave, Computer Music, live Drumming, Sport,…
MJO: Ja, vielleicht stellen wir scheinbar willkürlich gewählte Referenzpunkte einander gegenüber – Militär-Drums, Delta-Mississippi-Blues…
RP: Da haben wir’s! Wir arbeiten oft mit YouTube.
MJO: Ja, wie nennen wir es nochmals? … YouTube Anthropologie. Auf jeden Fall kombinieren wir dann vielleicht auch mal zwei Sachen, die normalerweise zusammen keinen Sinn machten. Vielleicht kombinieren wir Drums, wie sie von der Armee eines Landes, das in ein anderes einmarschierte, üblicherweise gespielt werden mit der Volksmusik des annektierten Landes. Und dann schauen wir, was passiert.
RP Alles basiert auf Mustern, alles ist Rhythmus. Natürlich entscheiden wir uns für einen Rhythmus und dann sucht Morten Sounds – also Hi-Hats in Kombination mit White Noise. Und ja, manchmal versucht er wie eine 808 zu klingen.
RB: Was ist jeweils der Ausgangspunkt – ist es der Sound, die Performance oder sind es die Referenzpunkte? Oder vielleicht die Outfits?
RP: Es ist die Abfolge dieser Dinge – es sind verschiedene Ebenen. Am Anfang haben wir Sound gemacht; das war der Ursprung. Aber da wir ein Programm benutzen, das selbstständig Tasks ausführt, muss ich nicht immer vor dem Computer stehen. Also haben wir angefangen, darüber nachzudenken, was man noch machen könnte. Die Performance derjenigen Person, die den Computer bedient, kann also körperlicher sein, als die Performance des Drummers. Nichtsdestotrotz erzeugt der Drummer Sound, indem er eine Bewegung ausführt – also indem er auf die Snare schlägt. Die Person, die nicht trommelt, macht also keinen Sound, kann sich aber dennoch bewegen und dadurch etwas auslösen…
MJO: Das wäre ein weiterer Gegensatz. Als Drummer generiere ich durch eine Bewegung Sound. Mit dem Computer aber passiert das Gegenteil. Der Computer macht einen Sound, woraufhin man sich bewegt.
GS: Ja, das ist seltsam. Aber das ist gut. Etwas anderes…
RB: Sorry, eine kurze Zwischenfrage – ist euch in der Zwischenzeit ein Witz eingefallen?
MJO, RP: [Kopfschütteln]
RB: Ok, mach weiter!
GS: Etwas anderes, das uns interessiert, ist eure Verwendung von verschiedenen Namen. Eine Leseart ist jene des Detroit Techno – also Masken tragen, das Ego zählt nicht, etc. Aber in eurem Fall steckt etwas anderes dahinter. Richtig?
RP: Ich weiss, man könnte hineininterpretieren, dass es um das Verbergen der eigenen Identität geht. Nein, nein, es war eher so, dass wir lange keinen Namen finden konnten, den wir mochten. Nachdem wir uns auf einen geeinigt hatten, mochten wir diesen aber auch nicht mehr. Es war «Unbenannte Muster Parade» in Norwegisch. [An MJO gewandt] Kannst du es bitte sagen?
MJO: [Murmelt etwas in Norwegisch]
RP: Ok, man konnte es also kaum aussprechen, ihr wisst schon – ein langes Wort. Darum fingen wir an, den Namen zu ändern – aber auch, weil das, was wir machten, ja nicht mehr unbenannt war. Wir wechselten den Namen also ständig und so war das dann ein Aspekt des Ganzen. Einzig die Initialen bleiben gleich, der Rest ändert sich.
RB: Den Namen ständig zu ändern, ist verwirrend – hattet ihr deswegen schon Probleme?
MJO …einige Leute dachten, unser Name würde sich auf den Ort beziehen. Der Name war Naturkunde Museum Ostbayern und die Leute schrieben der Organisatorin und fragten: «Findet das Konzert wirklich in Ostbayern statt?»
RP Ja, das war ein guter Name.
MJO: Die Organisatorin riet uns dann auch, dass wir uns nicht nach einem wirklichen Ort benennen sollten. Aber vielleicht ist das auch wieder Teil des Humors, über den wir vorhin sprachen.
RB: Wie weit werdet ihr bezüglich dieses Nicht-Teil-der-Industrie-Sein gehen?
MJO: Aber wir sind doch Teil der Industrie.
RB: Ja, aber ihr versucht es nicht zu sein.
RP: Nun, ich denke, es gibt da keinen Unterschied mehr zwischen Underground und Mainstream. Ich denke, alles ist dasselbe.
RB: Ja, dem stimme ich zu.
RP: In meinen Augen ist es nicht mehr «realer» vor 20 Leuten zu spielen – auf einer schlechten Anlage, zu schlechten Konditionen. Ich will auf riesigen Anlagen spielen. Und um auf grossen Anlagen spielen zu können, muss man an Festivals oder Mainstream-Veranstaltungen auftreten – sogar mit Getränke-Sponsoren im Rücken.
RB: Und das ist ok?
RP: Es ist nicht ideal. Ich würde es lieber nicht tun.
RB: Dann seid ihr also für solche Sachen zu haben, aber gleichzeitig kultiviert ihr diese Verweigerungshaltung…
RP: Ich denke, die Dinge sind so konservativ und die Leute haben dermassen Angst davor, etwas auszuprobieren, dass wenn man ein kleines, kleines Spielchen spielt, es scheint, als ob man super verrückt wäre. Aber ich sehe das anders. Für mich liegt das alles auf der Hand. Ich denke nicht, dass wir auf der Bühne super verrückt, alternativ, abgefuckt sind. Wir versuchen lediglich, den Fokus anders zu richten.
MJO: Aber wir sind Anarchisten.
RB: Ihr seid Anarchisten?
RP: Nein, nein, ich nicht.
RB: Das ist verwirrend.
MJO: Ich bin ein bisschen zynisch.
RP: Dadaistisch.
GS: Und was ist mit den Labels, bei denen ihr Musik veröffentlicht habt? Habt ihr die ausgewählt? Oder sind sie auf euch zugekommen?
RP: Wir haben nirgends angefragt, sie fragten jeweils uns. Und sie mochten einfach unsere Musik; darum haben sie gefragt.
GS: Wolltet ihr von Anfang an Musik veröffentlichen? Oder ging es eher um die Performances?
MJO: Nein, wir dachten tatsächlich nicht wirklich, dass wir Tracks produzieren würden. Das war nicht die Idee dahinter. Die Idee war es, aufzutreten und Sachen zu demonstrieren – Katalog-mässig. Wir dachten, wir würden wirklich kurze Segmente vorführen, im Sinne von «Das ist ein Muster, das man in dieser Kultur kennt». Und das würden wir dann eine Minute oder so spielen.
RP: Ja, ein anthropologischer Ansatz. Ja, ja.
MJO: Aber in einem Kunst-Kontext, denke ich. Aber dann, irgendwie… [Gelächter]
GS: Seid ihr denn zufrieden mit den Veröffentlichungen? Denkt ihr, sie geben das wieder, was ihr macht?
RP: Ich denke, es ist nicht einfach, etwas, das multimedial ist, aufzunehmen. Sound ist lediglich eine Ebene unserer Arbeit. Und wenn man eine Platte macht, hat man nur den Sound, der visuelle Aspekt geht verloren – auch wenn wir viel Wert auf das Design legen. Aber ein Cover ist halt nicht in Bewegung.
RB: Dann seid ihr also zufrieden damit?
RP: Ja, ich denke, die Veröffentlichungen sind ziemlich gut. [An MJO gewandt] Richtig?
MJO: Ja, ich denke, sie… sind es… wert… angehört zu werden. Darum ja, ich denke, sie sind gut.
MJO: Oh, ein Witz… Ein Bär geht in eine Bar. Kennt ihr den? Er bestellt einen «Gin… Tonic». Daraufhin fragt der Barkeeper «What’s with the big pause?» Und der Bär – mit Blick auf seine Pranken [Englisch: paws] – antwortet: «Was meinst du? Ich hatte die schon immer.»