Der musikalische Output des in Berlin lebenden Künstlers Broshuda bewegt sich in einem Feld, das nur eine Grenze zu kennen scheint: Die, die er noch nicht überschritten hat. Kein Wunder, zählen zu seinen Einflüssen Ambient, House, Clicks und Cuts, Krautrock, Drone und Techno – und einiges mehr natürlich. Der Veröffentlichungsrhythmus des nahe Kassel aufgewachsenen Produzenten ist dabei so dicht, wie sein musikalisches Interesse breit: Ob Alben, Singles, Neubearbeitungen, DJ-Mixes und Gastauftritte – über Labels wie Seagrave, Paralaxe Editions, Videogamemusic und Sonic Router sowie Radiosender wie NTS und Berlin Community Radio hat er in den letzten Jahren seine musikalischen Arbeiten einem stetig wachsenden Publikum zugänglich gemacht. Zudem gestaltet der ausgebildete Grafiker unter anderem auch für die jetzt schon legendären Neuköllner Shameless/Limitless-Partys Plakate. Bis dato erschienen die Veröffentlichungen als Files und Kassetten, letztere zumeist versehen mit Artwork von ihm selbst. Bald soll mehr folgen – auf anderen Medien, in neuen Konstellationen.
All Samples Cleared?
Die Figur Broshuda und die Persönlichkeit Florian Koch, so der Klarname des Künstlers, bleiben schwer zu greifen. Wer hier wessen Alias ist, bleibt so vage wie unwichtig. Rap-Musik als Start in die eigene musikalische Karriere – mehr aus einem Missverständnis steht der Begriff am Anfang der Unterhaltung. Natürlich sei der Künstler Broshuda von Rap beeinflusst gewesen, die Bedeutung dessen wolle man aber nicht zu hoch hängen: «Ich habe mich oft von einem in Deutschland scheinbar vorherrschenden Szenepurismus gelangweilt wiedergefunden. Ich bin der Meinung, wir brauchen keine Kopien von Large Professor, oder noch mehr Heads, die DJ Premier- oder Dilla-Beats eins zu eins in der MPC nachbauen. Golden Era Hip Hop in allen Ehren, aber vieles davon erscheint mir eher als kreative Sackgasse. Natürlich liebe ich auch Sample-basierte Musik, aber ich wollte schon früh für den Sound, der mir vorschwebte, nicht auf Material von aussen zurückgreifen. Hip Hop war für mich zwar definitiv wichtig, aber auch irgendwann abgehangen. Ich denke, ich bin, wie viele andere, die einer ähnlichen musikalischen Sozialisation entstammen, ein Zögling von Daedelus, Prefuse 73, Patten – dessen erste Veröffentlichung auf No Pain In Pop definitiv ein gamechanger für mich war – und Actress unter anderem.» Daedelus und dessen Zugang zu beispielsweise Jungle zählten zu den frühesten und grössten musikalischen Einflüssen Broshudas. Dabei ist der amerikanische Beatmacher ein perfektes Beispiel für massiven Einsatz von Samples. Ein Widerspruch? Möglicherweise. Gleichzeitig scheint Broshuda klar, aufgeräumt und geradlinig zu sein.
Ausserhalb des Fridericianum
Irgendwo zwischen Gütersloh und Memmingen, zwischen Paderborn und Erkelenz fügt sich Kassel, die Heimat Broshudas, nahtlos ein in die Reihe von Fraktus in «A.D.A.M.» besungenen Flecken Deutschlands, deren Existenz den meisten zwar ein Begriff ist, die jedoch genauso oft in Frage gestellt wird. «Die Stadt war für mich in dem Sinne wichtig, als dass sie, abgesehen von der Documenta, nicht gerade progressiv orientiert scheint – auch was Musik angeht. Sie ist im musikalischen Sinne nicht unbedingt speziell aufgestellt; es gibt nicht übermässig viele Klubs oder besonders viel Platz für voneinander separierte Szenen, was natürlich auch Positives mit sich bringt. Der Kreis an Gleichgesinnten war zwar klein, dafür aber umso freundschaftlicher und ertragreicher. In meinen Augen diktieren Techno und Tech-House in Kassel die Massen, was nicht unbedingt untypisch für eine mittelgrosse deutsche Stadt ist. Fair enough. Man kann meine Musik wahrscheinlich als eine Art Counterpart zum sonstigen Geschehen betrachten. Gleichzeitig hatte ich nicht unbedingt das Gefühl, mit meiner Musik auf übermässig viele offene Ohren zu stossen, was wahrscheinlich der kollektiven Sozialisation durch den allseits beliebten Viervierteltakt geschuldet war.» Anders sei es dann in Berlin gewesen, wo Florian – auch aufgrund seiner bereits von Kassel aus in diverse Winkel initiierten Verbindungen – sehr herzlich aufgenommen wurde. «Abschliessend gesagt war Kassel nicht ohne Bedeutung; und es gibt kein böses Blut zwischen der Stadt und mir. Ich weiss natürlich um das allgemeine Image Bescheid und auch wenn es vielleicht den Anschein haben mag, bin ich nicht nach Berlin geflohen. Kassel ist mehr als nur die Stadt, in deren Nähe ich aufgewachsen bin, in der ich gelebt habe, die mich sozialisiert hat – bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls. Die vorherrschenden Vibes waren ein Antrieb für mich, den ich nicht missen möchte, definitiv.» Meist entstünden sowieso ausserhalb der «Szene-Hotspots» besonders interessante und positiv abwegige Sachen. Da müsse man eben mehr investieren und könne nicht so einfach auf vorhandene Strukturen zurückgreifen. Auch sei die Position des Underdogs in seinen Augen nicht die unsympathischste, und die «Szene» sei ohnehin so weit verstreut, dass es heutzutage vielleicht auch keinen physischen Ort mehr benötige um sich auszutauschen.
Broshuda verkörpert den Gegenentwurf zum sich an engstirnige Genregrenzen haltenden Künstler und wagt dabei mehr als zaghafte oder kalkulierte Ausflüge über den Tellerrand. Das im März 2016 bei Videogamemusic veröffentlichte Album Fatima’s Dream nimmt dabei für den Künstler selbst eine besondere Rolle ein. «Für mich ist Fatima’s Dream bisher jener Release, der am nächsten an dem dran ist, was ich musikalisch abbilden will und was mir am Herzen liegt. Es ist ein sehr ehrlicher Einblick in meine meist sonntäglich stattfindenden Synthesizer-Exkursionen.» Es gäbe auch Sachen, die für ihn persönlich so etwas wie eine Blaupause darstellten, meint Flo. «Eine Blaupause für das, was ich in diesem Moment in eine bestimmte Richtung machen kann. Der Track ‹Low› wäre ein Beispiel dafür. Diesen hatte ich ursprünglich 2013 in Kleinstauflage auf Kassette selbst veröffentlicht. Ich finde den mittlerweile wohl schon wieder etwas in Vergessenheit geratenen, einst – wenn ich mich nicht irre – scherzhafterweise von Ben UFO begründeten Begriff Outsider House persönlich recht witzig. Und ‹Low› würde wohl auch von den Hörern am ehesten im House-Bereich verortet. So ein Stück würde ich gerne noch einmal machen. Ich mag den Synthie, die hauptsächlich aus Fieldrecordings bestehende Percussion, die diffuse Grundstimmung. ‹I Never Had A Sega› ist auch so ein Track. Ich habe festgestellt, dass ich in gewisser Weise wohl so etwas wie musikalische Hauptstränge mit wiederkehrenden Elementen habe, fluktuierend zwischen hell und einladend oder eher dunkleren Texturen. Aber ich kehre selten zu diesen zurück. Jeder Track besteht meist aus völlig neuen Sounds, die nur dort zum Einsatz kommen. Meist komme ich erst später auf Aufnahmen zurück und entdecke dann neues Potential und ungenutzte Passagen.» Der Prozess, den ein Track durchmache – die eigentliche «Arbeit», das Jammen –, sei ihm mindestens genauso wichtig, wie das fertige Ergebnis. Zudem arbeitet Broshuda gerne an mehreren Projekten gleichzeitig; Eile kennt er dabei scheinbar nicht. So steht auch seine erste Vinylveröffentlichung noch aus. Ein Kandidat dafür ist allerdings in der Pipeline: Das Ergebnis einer Kollaboration mit dem Rapper Sensational, der seine Vocals bereits Produzenten wie Spectre, Madteo [siehe zweikommasieben #8], Koyxeи oder Kruton [aka Bintus, siehe zweikommasieben #12] zur Verfügung stellte.
Loaded with powder
«Ich arbeite mit Unterbrechungen seit einer Weile an einer Vier-Track-EP für Seagrave», erklärt Flo. «Auf zwei der Tracks werden auch zum ersten Mal Vocals zu hören sein und zwar von Sensational – ein ziemlich singulärer Typ und definitiv eine Erscheinung. Ende der Achtziger Jahre war er Gründungsmitglied der Jungle Brothers, wobei er auf keinem deren veröffentlichten Werke vertreten ist. Es gibt lediglich ein unveröffentlichtes Album, das dem Label damals zu krass, weil zu experimentell war und deswegen nie offiziell erschienen ist.» Sensational kommt aus dem Illbient-Umfeld des Labels WordSound, auf dem 1997 auch sein Solodebüt erschien: Loaded With Power. «Er hatte meiner Meinung nach grossartige Features – mitunter auf Tracks von Madteo, der definitiv ein Held für mich ist.» Der Kontakt zu Sensational, führt Broshuda aus, sollte über einen Kumpel von der Berliner Shlomp-Crew zustande kommen. «Der hatte mal einen Beat zu einem Track von Sensational beigesteuert und konnte den Kontakt zu seinem Umfeld herstellen… Der Gedanke, mit Sensational arbeiten zu wollen war mir irgendwann gekommen, da er in Bezug auf Instrumentals in ähnlichen Dimensionen irrlichtert. Ursprünglich war ich aber nie wirklich darauf aus, mit Rappern zu arbeiten. Ich hatte das dann auch eher aus Jux weiterverfolgt.»
Broshuda hört aus dem Umfeld des Künstlers zuerst lange nichts, dann nur die Standardfrage: «Remix oder Kollabo?» Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber den MC längst über dessen Facebook-Fanseite selbst kontaktiert. Man schrieb sich – und Sensational zeigte sich angetan von den Instrumentals, die Flo ihm schickte. «Eigentlich eine gute Basis für eine Kooperation, aber so wirklich daran geglaubt habe ich anfangs nicht. Vielleicht auch, weil Sensational, während wir uns austauschten, immer wieder Werbeblöcke einschob: ‹Wanna buy a new Sensational Hoodie? And my new CD as well?› Ich musste das dann leider ablehnen; zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht unbedingt Interesse oder Geld, um einen Hoodie aus Amerika zu kaufen. Ich respektierte jedoch seinen Hustle.» Irgendwann wurde das Ganze ernster: «Er hat einen Betrag genannt – für etwas zu Rauchen und Studiozeit. Tim von Seagrave, selbst langjähriger Sensational-Fan und -Kenner, war mittlerweile mit im Boot. Wobei dieser zuerst dachte, ich wolle ihn verarschen… Er hatte erst nicht geglaubt, dass ich in Eigenregie das Feature angeleiert hatte. Wir nahmen an, dass Sensational seine Zeilen im Zweifelsfall nur in die Webcam rappen würde. Und trotzdem oder gerade deswegen hätte ich es grossartig gefunden – ich bin ohnehin ein Freund möglichst kruder Aufnahmetechniken.» Ende letzten Jahres waren die Vocal-Spuren dann plötzlich im Postfach. «Er hat eine Hook eingebaut, die so prägnant ist, dass die eigentlich den Titel vorgeben müsste. Ich bin mir aber unsicher, ob ich mir das aus der Hand nehmen lassen möchte. Welcher Künstler tut das schon? Auch deswegen muss ich schauen, in welche Richtung sich die Stücke entwickeln werden.»
Trotz der bisher ausgebliebenen Vinyl-Veröffentlichung will Broshuda nichts überstürzen: «Es schieben sich immer wieder Sachen dazwischen und frische Projekte, die in einer Sitzung passieren, reizen mich prinzipiell mehr, als das Aufarbeiten von Premaster-Versionen – ein Aspekt an Releases, für den es einen gewissen Mindstate benötigt, den ich nicht unbedingt erzwingen möchte. Es existieren auch noch weitere Angebote Vinyl zu veröffentlichen und Tracks, die bereits als Radio-Rip im Umlauf sind oder kurz vor der Fertigstellung stehen. Ich bin selber gespannt, was letztlich zuerst erscheinen wird.» Eines kann man sich aber sicher sein: Es kommt noch so einiges – in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt auch immer.