Getrieben von hochgradig frenetischen aber fluiden Klängen, die aus sich heraus zu entstehen, sich zu überfrachten und wieder in sich zusammenzufallen scheinen, manipuliert die Musik von Acolytes Lo-Fi-Hybride, die sich wie wild geworden durchs Chaos bewegen. Über eine Handvoll Veröffentlichungen hinweg hat der Londoner Produzent D. Shan, der hinter dem Projekt steht, Off-Beat-Rhythmen und Loops rekonstruiert und übereinandergeschichtet. Die immer schrilleren Kompositionen, die seiner hektisch anmutenden Herangehensweise entspringen, reissen den Hörer in Abgründe. Wie bereits das selbstbetitelte Debüt-Album ist auch die neue Acolytes-LP Rupture auf Alter erschienen – dem Londoner Label von Luke Younger alias Helm [siehe zweikommasieben #13]. Flora Yin-Wong hat Shan für zweikommasieben getroffen um über Automation, Einflüsse und den Umzug von London nach Berlin und wieder zurück zu sprechen.
Flora Yin-Wong Rupture ist als ein sich selbst-kannibalisierendes Werk beschrieben worden. Über sieben Tracks hinweg wiederholen sich gewisse Motive und Samples, die in immer neuen Kontexten auftauchen. Wie ist dieses Album entstanden?
D. Shan Das ist nicht ganz einfach zu erklären, weil es eigentlich mit meinem Zustand während jener Zeit, als ich es komponiert habe, zusammenhängt. Vor ein paar Jahren hat es sich so angefühlt, als würden kurz nacheinander viele Dinge geschehen, ohne dass ich Zeit gehabt hätte, zur Ruhe zu kommen. Übrig blieb eigentlich nur Ekel und Übelkeit. Ich wollte dieses Gefühl auf Platte gepresst haben – ein Album, das sich von innen her selbst auffrisst. Ich habe Samples von meiner ersten LP wiederverwendet, einige Tracks habe ich auch in sich zurückgespiesen und restrukturiert – «Rhetoric 2010 (Dub)» findet sich so auch in «Aneurysm» und in «Autocannibalism Loop». Ich wollte, dass sich die erste Seite anhört, als käme sie nie zu sich; ich wollte, dass die Übergänge krass sind. Es ist das erste Mal, dass ich Samples dermassen stark prozessiert habe. Es war ein Experiment.
FYW Du hast einen Programmierer-Hintergrund. Inwiefern spielt das eine Rolle für die Musik, die du machst?
DS Ich spiele mit SuperCollider und Tidal rum, aber ich würde nicht sagen, dass dies einen wichtigen Teil meiner musikalischen Praxis ausmacht. Ich interessiere mich auch nicht wahnsinnig für die Ästhetik der Computermusik oder für die Idee, über neue Strukturen oder Formen zu untersuchen, was eine programmierte Musik sein könnte. Ich nutze diese Werkzeuge eher als Erweiterung von dem, was ich eh schon mache. Primär brauche ich den Computer für das Einklinken in Ableton, weil es mich zwingt, Musik zu machen, die sich einem Raster zu beugen hat. Alle Plug-Ins, die Delays und das ganze Granular-Zeugs werden mit dem Raster und dem Tempo, in dem die Musik zu sein hat, synchronisiert. Ich speise chaotische, aus der Zeit gefallene Musik ein und die Plug-Ins «korrigieren» sie auf diese schräge Art. Auch wenn sich alles anhört, als würde es zerfallen, kommt so ein letztlich kohärentes Stück Musik heraus.
FYW Apropos chaotische, aus der Zeit gefallene Musik: Könntest du noch etwas weiter ausführen, wie du Chaos als Strategie für das Komponieren von Musik benutzt – oder sogar im Leben?
DS Ich mag die Ästhetik von Chaos – wie etwa gebrochene Rhythmen. Ich denke oft über Komposition nach, ich würde also nicht sagen, dass Chaos Teil meines Prozesses ist. «MXE666» ist der einzige Track, bei dem ich nicht wusste, was passieren würde, wenn ich die Drums über den Synth auf sie zurückgespiesen habe – das ist also der einzige wirklich chaotisch kreierte, zufällige Track.
FYW Gibt es sonst grundsätzlich eine Ästhetik, zu der du dich hingezogen fühlst und der du folgst?
DS Das kann schon sein. Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, aber an einigen Konzerten, die ich gespielt habe, wurde das zumindest behauptet. Ich denke, dass ich bisher vor allem den SuperCollider-Patch, der für Collage und Warping verwendet wird, missbraucht habe. Ich habe herausgefunden, welche Rhythmen und Vocal Samples am besten mit diesem Patch funktionieren und dann eher unbewusst entsprechende Klänge auf Samples ausgesucht. Ich finde es nicht sehr spannend, einen bestimmten Sound zu haben und ich will meine Musik nicht an einem gewissen Sound oder einer bestimmten Ästhetik ausrichten – vielleicht ist das aber unabsichtlich so gekommen.
FYW Du hast SuperCollider mehrfach erwähnt. Gibt es auch andere Prozesse der Klanggenerierung, die dich interessieren?
DS Ich arbeite seit sechs Jahren mit SuperCollider und habe vor kurzem angefangen, auch Overtone und Tidal zu benutzen. Mir geht es aber nicht wirklich um Klanggenese oder den Klang dieser Werkzeuge an sich. Ich hatte einfach das Gefühl, dass das Schreiben von Musik zu viel Zeit frisst und ich einen Teil davon lieber automatisieren möchte.
FYW Wenn ich mir die Mixe anhöre, die du für Blowing Up The Workhop und Bus Editions gemacht hast, dann scheint es, als wären deine musikalischen Einflüsse relativ breit. Was würdest du sagen, waren für dich wichtigste Einflüsse – musikalische oder sonstige?
DS Für mich waren die experimentelle Szene und die Noise-Szene vor einigen Jahren sehr wichtig, aber ich würde nicht behaupten, dass ich an eine solche Szene gebunden oder von einem zentralen Einfluss geprägt worden bin. Mich interessiert das, was gerade da ist.
FYW Was ist denn gerade da?
DS Ich habe schon immer gedacht, dass man alles spielen kann – eine Konversation, ein Sample von irgendetwas, ein bearbeiteter Track oder was auch immer. Das ist wahrscheinlich nicht mehr so radikal, wenn man sich die Kultur von Sampling und Bearbeitung in der modernen Musik anschaut. Musik hat sich aber zu verändern und damit das zu repräsentieren, was um uns herum geschieht. Es ist sehr gefährlich, wenn man sich zu sehr in eine bestimmte musikalische Subkultur verliebt, sie hochhält und das Gefühl hat, es handle sich um ein Sakrileg, wenn man irgendetwas anderes macht, als die entsprechende visuelle oder klangliche Ästhetik dieser Szene zu imitieren. Ein Grossteil der Musik hat sich jedoch auch zu sehr in die Gegenrichtung bewegt: Alles ist nur noch eine Referenz und hat damit auch nicht viel Bedeutung.
FYW Wie sorgst du dafür, dass sich deine Musik weiterbewegt und verändert?
DS Ich habe früher in Bands gespielt und war stärker in den Szenen für experimentelle Musik und Noise involviert. Eigentlich habe ich erst vor fünf Jahren damit angefangen, ernsthaft Musik zu machen. Die erste LP, die ich gemacht habe, war vor allem chaotische, improvisiert, Lo-Fi-Musik… Mich hat interessiert, wie sie konstruiert war – die Struktur der Songs, die Tracks, die Übergänge. Auf den beiden Alben für Alter habe ich viel darüber nachgedacht, wie sie zu strukturieren wären, damit sie als Alben auch Sinn machen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sich das gut in Live-Shows übersetzen lässt.
FYW Wie meinst du das?
DS Ich habe damit begonnen, mich eher gehen zu lassen in Bezug auf die Tracks und Kompositionen in Live-Performances und die Dinge geschehen lassen.
FYW Das könnte schwierig werden für Leute, mit denen du kollaborierst, könnte ich mir vorstellen – aber du arbeitest ja mit verschiedenen Leuten. Vor kurzem hast du etwa eine improvisierte Show mit Alobhe im Rahmen der Alien Jams Reihe im Café Oto gespielt. Wie war das?
DS Ich finde Alobhes Sache richtig gut. Sie hat eine kompromisslose Attitüde was DJ-Sets und Live-Performances angeht. Sie macht auch richtig gute Tempowechsel mitten in den Tracks und in ihren DJ-Sets, ihre Live-Performances sind superchaotisch. Ich bin sehr offen, was die Zusammenarbeit mit anderen Leuten angeht – alleine Musik zu machen, kann teilweise sehr langweilig sein.
FYW Hast du das Gefühl, dass deine Live-Performances sich mit der Zeit verändern und veränderst du sie aufgrund des Materials, das dabei entsteht und aufgrund der Rückmeldungen, die du erhältst?
DS Feedback ist eine interessante Sache. Die eigene Musik ist nicht wirklich das, was man denkt, dass sie sei – sie ist das, was die Leute, die sie hören, darüber sagen.
FYW Als jemand, der aus London kommt – würdest du sagen, dass die hiesige Musikszene für dich wichtig war?
DS Ich mag die Szene hier sehr. Mir gefällt es, dass es einige Leute gibt, die ihren ganz eigenen Sound haben und auch wenn sie Teil der Szene sind, hat man selten die Situation, dass man nicht unterscheiden kann, wer was gemacht hat. Ich glaube, es gibt hier tatsächlich einen Sinn für das Individuelle bei vielen Leuten, die Musik machen. Das hat mich sehr geprägt. Im Moment interessiere ich mich sehr dafür, was Lolina und Felicita gerade machen – als reine Komponistinnen. Und ich mag auch Oxhy und seine Crew Xquisite Nihil, die mir gezeigt haben, dass Computermusik Lo-Fi und Trash sein kann.
FYW Du bist für eine gewisse Zeit nach Berlin gezogen. Was hat dir das gebracht – in Bezug auf deine Haltung und deine Musik?
DS Ich musste dringend raus aus London für eine Weile, weil es mich echt kaputt gemacht hat. Berlin war für eine Zeit lang cool, aber aus meiner Sicht – und ich war nur kurz da – ist es eigentlich ein Disneyland für Expats. Ich habe keine wirkliche Beziehung zur Stadt aufbauen können und habe keinen Plan vom Leben jenseits dieser Bubble. Ich mochte die Musikszene, aber mir schien, es gab immer eine recht klare Hierarchie, wer wo zu spielen hat. Zudem schien mir, als ob es einen grossen Fokus auf Leute und Musik gibt, die nicht wirklich vom etablierten Sound der einzelnen Szenen abweichen. Das scheint innovatives Schaffen etwas zu erschweren. Aber wie gesagt – ich war nicht lange da und kann deswegen nicht wirklich etwas zum Leben in Berlin sagen.
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Acolytes‘ Stress II erscheint am 13. März 2020 bei Haunter Records. Die 18. Ausgabe unseres Print-Magazins, in der das obige Interview ursprünglich veröffentlicht wurde, ist via Präsens Editionen erhältlich.