Liam Morley und Dan Valentine sind zwei Studienfreunde aus Nordengland. Kürzlich erschien bei Modern Love (das eng mit Andy Stott verbandelte Label) ihre EP New Brutalism, welche verschiedene Mutationen des englischen Hardcore Kontinuums rekontextualisiert und aktualisiert. Übereinander geschichtet, sowie wieder und wieder gesampelt verlieren sich euphorische Momente in Melancholie. Das Duo hat sich den Fragen von zweikommasieben gestellt – ihr Mix steht ab dem 16. März ebenfalls hier zur Verfügung.
Marc Schwegler Eure EP auf Modern Love trägt den Titel New Brutalism. Der New Brutalism war eine neo-avantgardistische Bewegung in der britischen Architektur-Szene der 1950er Jahre. Inwiefern beeinflusst dieser Stil oder auch Architektur per se eure Musik?
Dan Valentine Wir haben immer versucht evokative Musik zu machen, ein Gefühl von Atmosphäre oder von einem Ort zu schaffen. Es ist also ganz naheliegend einen Bezug zu Räumen herzustellen. Brutalistische Strukturen und ihre Geschichte werden so zum Hintergrund dieser Veröffentlichung, platzieren sie in einer Landschaft. Bezüglich des Artworks war das Ganze dann aber auch eine Fortsetzung der Ästhetik von abstrakten Räumen, die wir so bereits für unsere letzte EP Struck (ebenfalls Modern Love) verwendet haben… Was mich bezüglich der brutalistischen Architektur fasziniert, ist das sie mit einer modernistischen, utopischen Vision entwickelt wurde, die dann aber letztendlich zusammengebrochen ist. Zurückgelassen hat sie diese kargen Betonstrukturen: Eine sehr trostlose und oft gefährliche Umwelt für die Menschen, die in ihnen leben. Die Hulme Crescents (siehe Thumbnail) in Manchester sind ein perfektes Beispiel dafür: Als soziales Wohnbauprojekt 1972 erbaut, lebten bereits in den 1980ern keine Familien mehr da und in dieser heruntergekommenen, baufälligen Landschaft hat sich eine anarchische, kreative Gemeinschaft von Studenten und Aussenseitern etabliert. Diese hat wiederum eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Dance Music in Manchester gespielt. Es gab da sogar einen provisorischen Klub namens The Kitchen, der aufgrund des Durchbruchs von mehreren Wohnungen entstanden war. Das hat für mich etwas sehr poetisches und etwas, das ich unbedingt adressieren wollte mit diesem Release.
MS Brutalistische Architektur war ursprünglich eine Reaktion auf diese funktionalistische «white-cube» Architektur der Vorkriegszeit. Während deren Bausteine mit Fasaden verkleidet und gestrichen waren, und aussahen wie maschinell verfertigte Betonoberflächen, forderten die Brutalisten einen ehrlichen Umgang mit dem Material: Sie wollten das Mauerwerk ungestrichen und unverputzt. Denkt ihr, diese Prinzipien lassen sich auf Musik adaptieren – und bedeuten sie euch auch etwas für euch und eure musikalischen Praktiken?
Liam Morley Es war etwas, von dem wir dachten, dass wir es so oder so tun – und es war interessant, Parallelen zu unserer Art zu produzieren zu entdecken. Wir nehmen oft Klänge von ziemlich beschädigten Quellen und statt deren Mängel zu verbergen, versuchen wir sie eher noch herauszustreichen. Es geht dabei nicht um eine Art Wahrheitsanspruch, wie ihn der Brutalismus forderte, es geht mehr um das Ästimieren von Klangqualitäten, die anderen Leuten vielleicht nichts sagen würden. Wir suchen vielleicht Schönheit in Dingen, die nicht unbedingt landläufigen Auffassungen von Schönheit entsprechen. Oder wir versuchen saubere und schöne Dinge so lange zu beschädigen, bis sie nicht mehr als da erkennbar sind, was sie mal waren. Wir arbeiten eine lange Zeit an einem Track bevor wir wirklich den Sound erreichen, den wir wollen und es gibt gewisse Phasen, die ziemlich mühselig sind. Wie Bauarbeiter, die Beton verspritzen, lassen wir die Mechanik der Prozesse die Arbeit verrichten und warten auf das fertige Resultat.
MS Die Musik auf New Brutalism macht verschiedene Referenzen auf die Geschichte der britischen Dance Music, sie rekonfiguriert und dekonstruiert dieses Material und setzt es neu zusammen. Inwiefern bezieht ihr euch auf diese Geschichte – seht ihr euch als Teil eines Kontinuums? Und was ist vielleicht auch wichtig daran, dieses Kontinuum einer permanten Re-Konfiguration zu unterziehen?
DV Ich würde sagen, dass wir uns unseres Platzes in diesem Kontinuum bewusst sind – aber es ist schon schräg… Wir leben in einer spannenden Zeit, in welcher viele Schranken eingerissen worden sind und viele Dinge möglich scheinen. Das kann manchmal auch zu einer gewissen Desorientierung führen: Auf eine Art schaut man zur gleichen Zeit vorwärts und zurück. So lange war elektronische Musik auf eine wie auch immer geartete Zukunft ausgerichtet, auf Fortschritt – aber nun nehmen immer mehr Leute auch Bezug auf eine Vergangenheit. Man borgt sich Signifikanten von Jungle oder UK Garage zum Beispiel, rahmt sie neu in einem modernen Kontext. Ein Teil von dem was wir machen basiert darauf, aus gefundenen Objekten etwas Neues zu kreieren – seien dies Samples, altes Equipment oder was auch immer. Man kann Ideen, Rhytmen und Töne nehmen und durch die Rekontextualisierung neue Perspektiven auf Kontinuitäten ermöglichen. Wenn man mit einem auditiven oder visuellen Medien arbeitet, hat man die Möglichkeit, Zeit zu manipulieren – sie zu verlangsamen, zu beschleunigen, sie umzukehren, sie zu schichten. So wachsen Aufnahmen aus verschiedenen Zeiten und Räumen zu neuen Narrativen, neuen Assoziationen zusammen.
MS Könnt ihr uns etwas über den Mix sagen, den ihr für Acéphale gemacht habt?
LV Wir haben versucht, ein paar totale Anti-Dancefloor-Tunes in einen eigentlichen Dancefloor-Mix zu packen, der nach UK klingt… Es finden sich also Verbeugungen in Richtung Garage und Grime, aber auch sehr frühe elektronische Tape-Musik oder Noise. Teilweise haben wir auch völlig neue Tracks aus der Verbindung von Skeletten geschaffen. Viele Stücke drehen sich um rhytmische Brüche – nur weniges ist klassisch 4/4 oder so. Es war für uns sehr interessant, einen Mix zu machen für einen Raum, wo wir nicht sein werden. Das unterscheidet sich doch sehr von einer Aufnahme, von der man weiss, dass die Leute sich das eher zu Hause oder mit Kopfhörern anhören werden. Ich hoffe, das Ganze sorgt für etwas Irritation bei den Leuten – aber auf eine gute Art.
ACÉPHALE #1: Shawn O’Sullivan (US), Echo106 (CH), VitaArtur (CH), Christoph Fringeli (DE)
FR 14.03.2014 22 h | Oslo10
Eintritt: CHF 15.-
Zur Premiere von Acéphale am Freitag 14.3.14 haben sich die Veranstalter als Hauptgast den New Yorker Shawn O’Sullivan (L.I.E.S., WT Records) eingeladen. Zusätzlich spielen mit Echo106 die beiden Schwyzer Brüder Bruno und Hansruedi Schnüriger. Das Duo – auch schon zu Gast bei zwei von zweikommasieben präsentierten Events (Nacht #9 und BOLD#3) – arbeitet tatkräftig an der Schweizer Fortführung des Chicago-House-Kontinuums. Die unter anderem beim Mathematics-Label von Hieroglyphic Being erschienen Produktionen des Duos erlauben sich trotz Funktionalität immer mal wieder Ausflüge ins Kosmische oder wachsen teilweise auch in songähnliche Strukturen aus: Die Live-Sets sind entsprechend vielseitig und kurzweilig. Ein DJ-set spielen wird Christoph Fringeli, der das Label Praxis Records betreibt, das sich seit etwa zwei Jahrzehnten kompromissloser, harter experimenteller elektronischer Musik verschrieben hat. Die von ihm herausgegebene Zeitschrift Datacite erscheint in unregelmässigen Abständen seit 1997: Mit emanzipatorischem Gestus beschäftigt sich das Magazin nicht nur mit Ästhetik sondern (unter)sucht widerständige Praktiken und stellt dezidiert antikapitalistische Positionen zur Disposition. Vita Artur aus Basel schliesslich präsentiert das erste Live-Set, das sich wohl im Feld von klassischem Deep-House mit leichten Acid-Anleihen bewegen wird. Eröffnet wird der Abend von einem Mix von Rainer Veil in Abwesenheit der Künstler.