Gaika – Die Wahrheit schreiben

Heute in einer Woche spielt Gaika am B-Sides Festival auf dem Sonnenberg nahe Luzern – neben vielen weiteren tollen Acts. Wir teilen unsere Vorfreude, indem wir das Interview mit dem Künstler aus London, das wir anno 2019 in der 19. Ausgabe unseres Magazins veröffentlicht haben, hier bereitstellen.

Anspruchsvoller Rap, so bezeichnet Gaika Tavares alias Gaika seine Musik. Der aus South London stammende Musiker versteht sein künstlerisches Werk als den Soundtrack seiner Identität: eines afrokaribischen Mannes in Grossbritannien. In den Konzeptalben Machine [Selbstpublikation, 2015] und Security [Mixpack, 2016] intellektualisiert er seine westindischen Wurzeln und kombiniert karibische Musik mit UK-typischen Genres, um die Geschichte der Schwarzen in England aus verschiedenen Perspektiven auszuleuchten.

Die um das Sound System herum gewachsene Kultur stellt für Gaika eines der wenigen kulturellen Medien dar, das sich der zunehmenden Fragmentierung der Nation entgegenstellt und ein Ethos der Einheit vertritt; und dabei marginalisierten Gruppen ein Mittel bietet, sich der gesellschaftlich auferlegten Stimmlosigkeit zu erwehren. Seine Faszination für Sound Systems und den damit verbundenen Fragen über Hautfarbe, Klasse und kulturelle Aneignung führte zu System (2018), einer Performance und Installation im Somerset House, in der er sich kritisch mit der Gentrifizierung des Notting-Hill-Karnevals auseinandersetzt.

Basic Volume, sein aktuelles Album, erschien letztes Jahr auf Warp Records. Dabei handelt es sich um einen Austausch mit seinem kürzlich verstorbenen Vater. Dieses Gespräch entfaltet sich in einer sphärischen Region irgendwo über der Erde. In den zwei Jahren, in denen Gaika sich der Realisierung dieses Werks widmete, beschäftigte er sich intensiv mit der Frage, was es bedeutet, heutzutage als Schwarzer Immigrant in Grossbritannien zu leben und täglich mit dem rassistischen System der Innenstadt Londons konfrontiert zu sein. «Wir sind doch alle Briten, nicht wahr? Letztlich sind wir es aber eben nicht», sagt Gaika im Gespräch mit Claire Mouchemore, die ihn anlässlich seines Konzerts im Zürcher Exil Club im Herbst 2018 traf.

Claire Mouchemore Du bist in South London aufgewachsen. Wie würdest du deine Kindheit und Jugend dort beschreiben? Wie klingt dieser Stadtteil und wie bist du mit Musik in Kontakt gekommen?

Gaika Tavares Ich war schon immer von Musik umgeben: Jungle, Garage, Grime, Dancehall. Irgendetwas lief immer, ob es aus einem Auto dröhnte oder ob irgendwo eine Party gefeiert wurde. Manchmal denke ich, dass ich mir nie richtig bewusst gemacht habe, wie glücklich ich war. Manche Leute interessieren sich für Fussball; für uns war es immer die Musik. Dort wo ich aufwuchs, gab es legendäre Plattenläden. Wir gingen hin, kauften eine Platte, hörten sie an und tauchten sofort in eine andere Welt ab. Viele der Dinge, die ich damals kennenlernte, wurden später richtig gross. Ich habe miterlebt, wie London zum Zentrum der Musikszene wurde. Wenn man dort lebt, denkt man nie darüber nach, wie viel um einen herum geschieht, weil es immer direkt vor der eigenen Nase passiert. Man kann es gar nicht distanziert wahrnehmen. Man ist davon umgeben und ist irgendwann davon überzeugt, dass man es auch kann.

CM Wann kam der Zeitpunkt, an dem du dich entschieden hast, selbst Musik zu machen?

GT Ich fing in meinen frühen Teenage-Jahren an. Ich experimentierte mit Kassettenrecordern und Keyboards. Mir wurde dabei schnell klar, dass das, was ich da kreierte, nicht wie das klang, was gerade beliebt war. Ich dachte mir: «Ok, jeder will ein MC sein, aber dazu fehlt mir etwas. Dann bin ich halt der Typ, der die Events organisiert.» Die Frage, warum mich die Musik so in ihren Bann zog, geisterte mir stets durch den Kopf. Ich verdiente mein Geld damals in der Musikszene, aber nicht als Künstler, obwohl ich insgeheim einer sein wollte. Es dauerte noch einige Jahre, bevor ich meine Angst überwand und mich ernsthaft als Musiker versuchte. Ich hätte das von Anfang an machen sollen, aber ich fürchtete mich einfach davor. Eines Tages bot sich mir eine Chance: Eine Band fragte mich, ob ich mit ihnen spielen wollte, weil ich eine bestimmte Bühnenpräsenz und Ästhetik hatte. Ich zögerte nicht und gab mich dem vollkommen hin. Wenn ich etwas mache, dann will ich es gut machen und höre nicht auf, bis ich dieses Ziel erreicht habe. Besonders in dieser Zeit war ich wie besessen und arbeitete unnachgiebig. Ich überarbeite Sachen immer und immer wieder. Ich wollte besser werden und lernen, wie man es richtig macht. Ich hatte schon einiges in anderen Gebieten erreicht, weshalb nie dieser Druck entstand, der andere verfolgt, wenn sie sich sagen, dass das ihre einzige Chance ist. Das bedeutete für mich viel Freiheit. Ich konnte etwas riskieren, weil ich mich nicht vom Erfolg des Endprodukts abhängig machen musste.

CM Hast du verschiedene Stilrichtungen ausprobiert, bevor du deinen Sound gefunden hattest?

GT Ich habe ganz unterschiedliche schräge Musik gemacht.

CM Und womit nahm alles seinen Anfang?

GT Meine Musik hatte immer schon eine gewisse Ästhetik, aber zu der Zeit konzentrierte ich mich vor allem auf Grime, Punk-Grime und sowas wie Beatdown-Hardcore mit live gespieltem Schlagzeug. Ich habe auch viel Techno und Ambient produziert. Im Allgemeinen war ich auf elektronische Musik ausgerichtet. Schlussendlich wurde mir klar, dass ich versuchen musste, das umzusetzen, was ich im Kopf hatte, und mir dabei selbst treu zu bleiben. Das war viel wichtiger als in irgendeiner Band zu sein.

Diskussionen über Genres und darüber, wie sie verschmelzen, finde ich langweilig, weil ich nie über Musik im Sinne von Genres nachgedacht habe. Ich habe Musik einfach nicht so konsumiert. Ich höre Tempo und Tonart, aber damit hat es sich eigentlich. Ich kann nicht sagen, wie Dancehall klingen sollte. Etwas, das für mich wie Dancehall klingt, klingt für Andere nicht unbedingt wie Dancehall. Ich sehe mir zwar an, was in Genres gerade gemacht wird; so bewerte ich Musik, aber der Rest interessiert mich nicht.

CM Wie würdest du deinen jetzigen Musikstil definieren? Ich weiss, wie ich die Musik beschreiben würde, gleichzeitig bin mir sicher, dass du, der Künstler dahinter, das ganz anders sieht.

GT Es ist die Musik, die ich liebe. Mehr würde ich gar nicht sagen. Soundtrack-Musik. Das ist es, mehr oder weniger. Mein Stil kann sich verändern, aber die Leute wissen, wenn etwas von mir ist. Manchmal beschäftige ich mich mit Vocodern – T-Pain oder Herbie Hancock –, dann mit elektronischer Musik – Tim Hecker, Aphex Twin und dieser Avant-Garde –, dann mit düsterem Dancehall oder Rap oder Trap. Ich mag all diese Dinge. Es gibt auch Zeiten, in denen ich denke, dass ich eigentlich Nine Inch Nails mache, einfach als Schwarzer.

GT Ich leben in einer Blase und versuche mich davon abgesehen von Reaktionen fernzuhalten. Ich gehe selten dorthin, wo man meine Musik spielt, und Hype interessiert mich auch nicht. Ich weiss es also nicht, aber das Album scheint im Allgemeinen gut angekommen zu sein. Ich werde oft gebucht und mein Telefon klingelt ständig. Ich mache Musik, weil ich dabei etwas fühle und nicht, weil ich damit einen bestimmten Effekt erzielen will.

CM Was ging in deinem Leben vor, als du an dem Album gearbeitet hast?

GT Mein Vater ist verstorben, kurz bevor ich mit dem Schreiben anfing. Ich war viel unterwegs und trauerte, schreib meine Wahrheit, hatte viele Affären, war ständig in Bewegung. Ununterbrochene Aufruhr. Ich wollte etwas erschaffen, das klassisch und zeitlos ist. In der Vergangenheit hatte ich Konzeptalben geschrieben, aber Basic Volume sollte kein konzeptuelles Album sein. Ich wollte, dass es nach mir klingt. Aber um das zu erreichen, musste ich erstmal herausfinden, wer ich bin.

CM Über die Rolle, welche die labile politische Lage in Grossbritannien auf dem Album spielt, wurde schon geschrieben. Wie übt sich diese Situation auf das Alltagsleben aus?

GT Für mich war es unumgänglich, die Wahrheit so zu erzählen, wie sie mir erschien: was es bedeutet, mich selbst zu sein; was es bedeutet, ein Immigrant zu sein, Teil einer Familie von Immigranten zu sein, die in Grossbritannien leben. Ich wollte über unser Leben sprechen und die Wahrheit darüber sagen. Dabei wurde mir klar, wie stark diese Wahrheit vom Immigrationshintergrund beeinflusst ist, und wie bedeutend die Erfahrungen unserer Eltern für diese Geschichte sind. Es war anders für uns als für alle anderen: wir mussten uns die Anerkennung unserer Leistung erkämpfen, mussten dreimal so hart arbeiten und gleichzeitig durch die Welt der Innenstadt manövrieren. Einfach war das nicht. Der Druck kommt von allen Seiten.

Es spielt gar keine Rolle, wie talentiert und fähig unsere Eltern waren, ob sie vor der Migration reich oder arm waren – sie kamen alle an einem Ort an, an dem man versucht hat, sie kleinzuhalten. Das Migrantenleben wurde beim Schreiben von selbst zum Thema des Albums. All diese Dinge in der Politik geschahen direkt vor meinen Augen und es wurde mir klar, dass ich darüber sprechen musste, egal wie schwer es sein würde. Es gibt diese Normalisierungsparole – wir sind doch alle Briten, nicht wahr? Letztlich sind wir es aber eben nicht. Das wird sich auch nicht ändern, bis wir uns Gedanken darüber machen, was es eigentlich bedeutet, britisch zu sein.

CM Inwiefern reflektiert das Album deine Erfahrung mit Migrationssystemen?

GT Als das Album auf den Markt kam, beschrieben es die Leute als zeitgenössisch. Da fühlte es sich endlich echt an. Ich wollte darüber sprechen, wie es sich für mich anfühlt, im England der Gegenwart zu leben, und zwar auf vielschichtige Weise. Es handelt sich um ein komplett unerkundetes Thema. Mir sind völlig konstruierte Grenzen egal. Warum sollten die mich kümmern? Die wichtigen Fragen waren: Wo komme ich her und was bedeutet das für mich? Ich war die ganze Zeit am Reisen und wo ich auch hinkam, überall war es gleich: Rassismus und Gentrifizierung, egal in welchem Land, egal welche Sprache gesprochen wurde. Ich wollte meine Sicht der Dinge mit der Welt teilen. Das Album stellte ich mir als Gespräch mit meinem Vater vor, irgendwo hoch über der Erde. Aus diesem Grund spielt die globale politische Situation eine wichtige Rolle. Als ich am Album arbeitete, hörte ich all diese Künstlerinnen, die sich mit oberflächlichem Zeug abgaben, und das fühlte sich so berechenbar und fake an, einfach leer. Ich wollte auf dem Album nicht predigen oder die Texte zu sehr in eine Richtung zwängen. Ich wollte bestimmte Kontexte kommentieren.

CM Politik lässt sich oft nur schwer in Musik einbringen, vor allem was Texte betrifft. Wie bist du es angegangen, das direkte Politisieren zu vermeiden, aber jedem Lied eine tiefgründig politische Bedeutung zu geben?

GT Ich habe einfach die Wahrheit gesagt. Es gibt einen Unterschied zwischen Kunst, die herausfordernd ist und einen Realitätsbezug hat, und Kunst, in der man seine eigene politische Kraft mit Hinweisen auf spezifische Politiker und Probleme zur Schau stellt. Letzteres ist für mich weder zeitlos noch schlagkräftig. So denke ich und Leute wie ich nicht. Ich habe mich für den anderen Weg entschieden. Sich mit bestimmten Politikerinnen in die Arena zu begeben, läuft schlussendlich immer nur auf ein Kräftemessen heraus.

Basic Volume sollte axiomatisch sein: vieles ist unter der Oberfläche versteckt. Bevor man zu den guten Sachen kommt, muss man zuerst seine Denkensmuster hinterfragen. Ich ziehe Lyrik beschreibenden oder erzählenden Songtexten vor. Ich weiss, wovon ich in den Stücken rede, und das ist das Wichtigste. Die Leute, die mich kennen, wissen, wovon die Lieder handeln. Viele meiner Stücke sind Briefe an echte Menschen. Alles, was ich sage, ist wahr und echt, aber man will solche Sachen ja nicht zu offen zur Schau stellen. Wenn ich das Schreiben auf diese Weise angehe, komme ich gar nicht erst auf die Stufe, auf der ich predigen würde. Ich mache Musik über echte Menschen und echte Sachen, nicht über Abstraktionen. Ich unterscheide nicht zwischen Menschen und den Räumen, in denen sie leben. Das scheint mir erzwungen.

CM Basic Volume ist dein bisher persönlichstes Album. Hattest du je Probleme, dein Trauern und deine Erfahrungen musikalisch auszudrücken?

GT Nein.

CM Hattest du Zweifel daran, als das Album fertig war, ob du es veröffentlichen würdest?

GT Definitiv, viele Zweifel. Wie gesagt, viele der Dinge auf dem Album sind sehr persönlich. Ich schreibe über meine Familie. Natürlich hatte ich Zweifel, aber ich bin kein Lügner. Ich fürchtete mich einfach davor, abgeurteilt zu werden, aber der Grund, warum ich überhaupt Musik mache, ist es, diese Furcht zu überwinden. Dem Zweifeln gab ich mich nicht lange hin.

Ich drehte durch, bevor das Album erschien. Ich arbeite jeweils so obsessiv an einer Sache, schleife sie ständig, bringe sie langsam in Form, bis ich ein Produkt habe, mit dem ich zufrieden sein kann. So auch bei diesme Album. Ich kam nie an den Punkt, an dem ich das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen konnte oder meine eigene Glaubwürdigkeit hinterfragte, aber es gab einige Momente, in denen ich mir eingestehen musste, dass das Album noch nicht gut genug war.

Die traumatischen Erfahrungen, die in der Musik aufgearbeitet werden, erlebt man in Alben immer wieder aufs Neue. Gegen Ende der Produktion fing ich an, in eine Panik zu geraten. Es war mir von Anfang an klar, dass es nicht einfach sein würde, ein Album zu schreiben, dessen Titel eine Anspielung auf meinen Vater ist, einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich wusste im Voraus, dass es anders sein würde als bei den Konzeptalben Machine oder Security. Mein neues Album handelte von mir, meinem wirklichen Ich, und es war immer klar, dass es sich nur schwer umsetzen lassen würde. Ich war aber bereit dafür.

 

CM Wie du gesagt hast, unterscheidet sich Basic Volume vollkommen von den vorhergehenden Werken. War deine Herangehensweise ebenfalls anders als bei den anderen Alben?

GT Nicht wirklich. Wir konzentrierten uns einfach stärker auf die Lieder und weniger auf die Klangwelten, den Rap oder den Versuch, Klänge ins Schräge und Konzeptuelle zu zwingen. Ich schrieb kurze anstatt ausufernde Songs. Ich wollte, dass sich alles im Einklang mit der DNA des Albums befindet. Ich wollte etwas erschaffen, das meinem Vater gefallen hätte. Er hatte sich Machine angehört und meinte, «es ist clever, aber warum sind die Lieder sechs Minuten lang?» Melodien waren mir ebenfalls sehr wichtig. Ich hatte mehr Selbstvertrauen als Sänger und wollte meine Fähigkeit in dieser Hinsicht endlich voll auskosten. Der Prozess war bei allen Alben gleich, aber das Ergebnis war diesmal eher das Ergebnis von verschiedenen Experimenten. Machine war ein Experiment, Security ein anderes, und Basic Volume ist das Produkt, das aus den Erkenntnissen aus diesen Experimenten hervorging. Es ist das Produkt all der Dinge, die ich dank den früheren Alben gelernt hatte – die Prozesse und Techniken, die wir uns beim Touren aneigneten, flossen in das neue Album ein. Wir kamen dem näher, was wir machen wollten. Der Klang und der Prozess wurden reifer.

CM Deine Werke haben eine starke visuelle Komponente und stellen eine gewisse Ästhetik in den Vordergrund. Wo findest du Inspiration für deine Kunst ausserhalb der Musik?

GT In den schrägen Sachen, die spät abends im Fernsehen laufen. Visuelle Dinge vereinnahmen mich. Zurzeit bin ich von Home-Shopping-TV besessen. Ich sitze Zuhause und höre nicht auf, mir diese Sendungen anzusehen. Sie faszinieren mich. Ich weiss nicht wieso, aber ich bin davon vereinnahmt. Irgendwann werde ich das in einem Projekt umsetzen.

Ich finde die Darstellung der Realität und bewegte Bilder faszinierend. Das ist etwas, das ich noch nicht in meiner Arbeit angegangen bin. Es gibt bestimmte Regisseure, deren Filme sich aus meiner Sicht gut mit meinen Werken vertragen würden, vor allem Ridley Scott und David Lynch. Meine Kunst ist die Darstellung meines unschuldigen Ichs, das Dinge aufnimmt und beobachtet, wie es sich dabei fühlt. Das zu schaffen und aufzunehmen, was meine Vorstellung stimuliert, darum geht es mir. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum meine Musik immer diese Spät-Achtziger-, Früh-Neunziger-Stimmung hat. All die Dinge aus dieser Ära, nicht nur die Musik, sondern auch die Filme, sind in meine Erinnerung eingebrannt; die Soundtracks der Filme vermischt mit den Sachen, die später auf Clubland und Button Records erschienen. Wenn mich irgendetwas beeinflusst, dann ist es das Gefühl dieser Ära des Kinos und wie es zu meiner späteren Entwicklung beigetragen hat.

CM Verwendest du diese visuellen Elemente auch bei deinen Auftritten?

GT: Nicht direkt. Ich versuche nicht, sie bei den Auftritten wiederherzustellen. Es geht mir um das Gefühl und die Erinnerung daran. Es ist unbewusst. Wenn ich darauf zurückblicke, frage ich mich, woher kam das und woran erinnert mich das?

Mir wurde klar, dass ich von Performerinnen beeinflusst bin, den grossen Figuren der späten achtziger und frühen neunziger Jahre – Prince, Michael Jackson, Freddie Mercury. Das ist der Grund, warum ich auf die Bühne gehe. Ich sah diese Künstler als Kind im Fernsehen und dachte mir, so muss man das machen, wenn man da oben steht. Ich wollte immer, dass es eine «Show» gibt.

CM Im vergangenen August hast du zusammen mit Boiler Room anlässlich des Notting-Hill-Karnevals die Installation und Eventserie System im Somerset Haus konzipiert und aufgeführt. Das Stück erkundet die siebzigjährige Geschichte der Windrush-Generation und bietet Einblick in die Verbindungen zwischen dieser Migration und der ikonischen Sound-System-Kultur Grossbritanniens. Könntest du mir mehr über die Idee hinter der Installation sagen und wie du sie umgesetzt hast?

GT Ich war mitten in der Produktion von Basic Volume, als Boiler Room mich anfragte, und es war mir wichtig, die Themen des Albums in der Installation aufzugreifen. Eines dieser Themen war die Kultur des Sound Systems und unsere Verbindungen zur Technologie. Ich wuchs in einem Umfeld auf, in dem Technologien wie Sound Systems dazugehörten, und ich begann früh, mit Sound zu experimentieren. Ich machte mir Gedanken über die kulturellen, technologischen und politischen Aspekte dieser Kultur und versuchte, etwas zu erschaffen, das alles in sich zusammenbrachte. Aber es war ein bedeutsames, öffentliches Werk und es sollte funktionell und gross sein.

Zum Schluss nahm die Arbeit die Form eines grossen Rahmens an, um den herum Bildschirme hingen und der so dekoriert war, dass er an einen Dschungel erinnerte. Mittendrin war ein Sound System. Auf den Bildschirmen lief eine Kombination von Ausschnitten aus einem Film, den ich als Teil des Albums gemacht hatte. Darin geht es darum, was es bedeutet, in diesem System zu leben, Schwarz zu sein, Immigrant zu sein und im Grossbritannien der Gegenwart zu leben, insbesondere in Bezug auf den Karneval und seine negativen Konnotationen. Während dem Karneval fühlt sich alles unsicher an, aber der Anlass ist voller Liebe. Es ist die Überwachung, die einen Schatten über alles wirft.

Die Installation wurde aus Elementen geschaffen, die Überwachung symbolisieren. Das Sound System war mit Kameras bestückt, dessen Projektionen sich der Musik anpassten und so einen Video-Feed erzeugten, der sich ständig veränderte. Das System befand sich in einem grossen Raum. Eine Party musste es natürlich sein, und darum feierten wir auch. Es war verrückt. Dieser Anlass in London während dieser Zeit; es war eine der besten Sachen, die seit langer Zeit stattgefunden hatten. Die Leute haben wirklich verstanden, was wir erreichen wollten. Sie kamen in Scharen und haben getanzt. Es war eine gute Mischung aus allen möglichen Leuten.

CM Warum habt ihr euch für das Somerset House entschieden, ein neoklassisches Gebäude mit Blick auf die Themse, das 1796 erbaut wurde?

GT Das Somerset House ist ein Palast. Der Boden bog sich unter dem Gewicht des Publikums. Der für Sicherheit zuständige Typ stand vor der Tür mit einem Getränk in der Hand. Die Türsteherinnen freuten sich, so viele verschiedene Menschen in dem Raum zu sehen. Noch heute wird das Haus von Steuergeldern und der Arbeit von Immigranten bezahlt. Da kann mir keiner erzählen, ich dürfte dort keine Party organisieren, wenn ich das will. Ich werde das machen und alle, die wollen, können kommen. Das war meine Botschaft. In dieser Hinsicht ähnelt die Arbeit dem, was die Generation meiner Eltern und meiner Grosseltern machte. Anstatt von den Teddy Boys und ihren Klappmessern wegzurennen, haben sie Sound Systems auf die Strasse gestellt und laut gesagt, «wir gehen hier nicht weg, wir gehen hier nicht weg. Wir tanzen euch vor der Nase herum, das werden wir tun.» Und das taten sie auch, und den Kampf haben sie gewonnen. Das ist es, was das Sound System für mich darstellt.