Sean Glass, Spross einer Musikmanager-Dynastie, weiss es besser. Das Business ist heute immer noch hart, wenn nicht gar härter als je zuvor. Trotzdem hat der studierte Filmemacher und passionierte DJ aus New York mit WIN Music gerade erst sein eigenes Label gegründet. Warum ? Arci Friede von zweikommasieben hat nachgefragt.
Arci Friede Dein Grossvater gehörte mit seinem Label SAM Records zu den Disco-Pionieren und dein Vater hat nach einer Karriere in der Welt der Majors sein eigenes Label Glassnote gegründet, wo heute unter anderen Phoe-nix, Two Door Cinema Club und Mumford & Sons gesignt sind. Dein Onkel, Michael Weiss, hat Nervous Records gegründet. Du trittst in grosse Fussstapfen. Oder ist es so einfach wie noch nie im DIY-Zeitalter ?
Sean Glass Nun, DIY war noch nie so einfach und zugleich so schwierig. Jeder kann sich heute als Unternehmer aufführen. Mir erzählen immer wieder irgendwelche Leute, dass sie ein Label oder ein Produktionsstudio « besitzen ». Tatsächlich haben sie eine Website erstellt, Visitenkarten gedruckt und vielleicht zwei Künstlerfreunde veröffentlicht. Selten entstehen aus diesen Initiativen nachhaltige Vehikel für die Künstler beziehungsweise die Musik. Am Ende sind es namhafte DJs, die die finanziellen und damit personellen Ressourcen aufbringen können und bereits über ein dichtes Netzwerk im « Apparat » verfügen, die ein Label überhaupt zur Markt-
reife bringen können. Ich will damit nicht sagen, ohne Geld geht gar nichts, aber man braucht definitiv Zugang. Und den habe ich dank meiner Familie, die seit Generationen im Musikgeschäft ist.
AF Du hast auf deiner Label-Website eine Art Manifest veröffentlicht, in dem du schreibst, du hättest dir vor der Gründung von WIN Music zwölf Fragen gestellt. Eine davon lautete : « Weshalb sind traditionelle Musiklabels heute immer noch gut ? ». Zu welchem Schluss bist du diesbezüglich gekommen ?
SG Ich bin der Überzeugung, dass ein traditionell operierendes Label, welches intelligent geführt wird, immer noch eine gute Sache ist. Nehmen wir Glassnote, das Label meines Vaters, oder mittelgrosse Player wie Republic und Atlantic. Sie alle zeichnen sich durch professionelle Promotionsarbeit aus. Ein Künstler, der im richtigen Moment bei Saturday Night Live oder Jimmy Kimmel auftritt, kann unter Umständen über Nacht zum Bestseller werden. Oder Radio : Radio ist immer noch der grösste Absatzförderer in der Musik. Indie-Labels ignorieren diese Tatsache oder glauben von Anfang an, dass sie sich diese Investition nicht leisten können.
AF Du selbst bist gross eingestiegen. Die erste Single auf WIN war Duke Dumonts Need U 100 %. Nachdem das Stück bereits in England ein kommerzieller Hit war, habt ihr damit Platz 1 der US Billboard Dance Club Charts erreicht. Manche meiner elitären Freunde würden behaupten, das sei ein EDM-Stück. Dagegen schreibst du auf deiner Website, dass du « gute Dance-
Musik fördern möchtest, aber nicht diesen EDM-Bullshit ». Wo ziehst du die Grenze ?
SG EDM ist ein Marketingbegriff, kein Genre. Duke bezieht sich musikalisch auf Disco, Techno und House. Need U 100 % hat eine Strophe-Refrain-Strophe-Architektur, ist also quasi ein Song. Von daher trifft schon eher Pop als EDM zu. Und selbst wenn’s EDM wäre… Erst kürzlich war ich Gastredner bei einem Podium, zusammen mit Lee Foss (Anm. d. Red. : Besitzer von Cross-town Rebels). Das Thema war « Underground ». Keiner von uns wusste, was das heute noch heissen soll. Glaubwürdigkeit ist gut, cool ist gut, aber worum es wirklich geht, ist Qualität. Und ich bin der Meinung Need U 100 % ist einer der besten Dance-Songs dieses Jahres. Wer das nicht eingestehen kann, ist Kontext-fixiert. Ist etwas per se nicht gut, weil es nicht im Berghain in Berlin gespielt wird ? Ich meine, Levels von Avicii ist ein grossartiges Stück Musik. Mir gefällt auch alles, was Miley Cyrus in jüngster Zeit veröffentlicht hat. Die billige Inszenierung dieser Künstler ist für mich dann ein anderes Thema …
AF In den USA ist ein EDM-Goldfieber ausgebrochen. Wie gesund kann es für den kreativen Fortschritt der Dance-Musik im Allgemeinen sein, wenn ein börsennotiertes Unternehmen wie SFX Entertainment die grössten Festivals wie Tomorrowland und mit beatport.com die relevanteste Download-Plattform operiert ?
SG Für mich ist EDM eine Blase. Die Leute können sich nicht noch mehr Festivaltourismus, wo ein Wochenende gut 1000 Dollar für Eintritt, Flug, Hotel und Drogen verschlingt, leisten. Sie werden auch nicht mehr lange bereit sein 100 Dollar auszugeben, nur um einen DJ spielen zu hören, der von ein bisschen Animation flankiert wird – oft halbnackte Tänzerinnen in rosarot-pelzigen Stiefeln und einer Federboa um den Hals. Mich persönlich interessiert, was nach der Blase kommt, wenn die Investoren oder eben Goldgräber wieder weg sind. Ehrliche, unabhängige Festivals wie Burning Man werden überleben, denke ich. Und es sind schon neue Impulse gesetzt. Das Life is Beautiful-Festival in Downtown Las Vegas bietet mit Musik, Essen, Kunst und inspirierenden Bildungsvorträgen eine mehrschichtige Erfahrung an, die positiv über den Moment hinauswirken und nachhaltig zur Stärkung der Gemeinschaft beitragen soll. Die Veranstalter stellen sich zum Beispiel die Frage : « Wie können wir die Energie, die an einem Festival entsteht, nutzen beziehungsweise zurückgeben ? ». Es wird dort gefeiert, aber auch seriös diskutiert. Solche neuen Ansätze begeistern mich.
AF Du bist ein Fan der Tech-Industrie und sagst, du kannst es kaum erwarten, bis diese die Musikindustrie übernimmt. Wie siehst du dann die Zukunft des Künstlers ?
SG Am Anfang eines erfolgreichen Prozesses in der Musikindustrie wird immer gute Musik stehen. Der Rest ist offen und wird sich entwickeln – aber das war schon immer so. In den letzten 20, 30 Jahren mussten Musiker sich zu Marketern fortbilden, heute müssen sie Unternehmer sein. Der Kanal heisst nicht mehr nur MTV. Wer erfolgreich sein beziehungsweise bleiben will, muss eigene Plattformen kreieren. Lady Gaga und ihr Manager Troy Carter beherrschen das grossartig – oder Kanye West. Er ist ein begnadeter Musikproduzent, doch ohne die strategische Inszenierung im Umfeld technologischer und modischer Trends wäre er nicht die berühmte Marke, die ihm in Zeiten schwindender Musikverkäufe Millionen von Extra-Dollars einbringt.