10.02.2019

CTM 2019 – Beständigkeit in der Vermischung

Unter dem Titel «Persistence» feierte die CTM dieses Jahr ihr 20. Jubiläum. Während zehn Tagen bot das Berliner Festival auch 2019 Partys, Konzerte, Ausstellung, Vorträge und mehr. Guy Schwegler und Lendita Kashtanjeva über ihren Besuch der diesjährige CTM – einem Festival, das beständig an Vermischung arbeitet.

Das ursprünglich als Afterparty des Kunstfestivals Transmediale gedachte CTM Festival verfügt bereits seit einigen Ausgaben über mindestens dieselbe Strahlkraft wie das etwas ältere Schwesterfestival. Ziel der CTM war und ist es – wie ein kürzlich im Anschluss an das Jubiläum veröffentlichtes Statement verlauten lässt –, ein leidenschaftliches Zusammentreffen von Kunst und Musik zu ermöglichen. Damit soll ein einmaliges Festivalerlebnis geschaffen werden in dessen Rahmen kompromisslose Musik präsentiert und reflektiert wird, genügend Platz zum Feiern vorhanden ist und sich eine internationale Community trifft. Dieses Vorhaben gelingt der CTM bereits seit geraumer Zeit und das Ziel wurde auch an der 20. Ausgabe des Festivals erreicht. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren diverse Events mit ähnlichen Ansätzen etabliert, die vielleicht in einer anderen Skalierung aber mit durchaus demselben Versprechen – und ähnlichem Erfolg – operieren.

Für eine etwas genauere Bewertungsgrundlage für die diversen Formate, die jeweils in der letzten Januar- bzw. ersten Februarwoche des neuen Jahres stattfinden, dient daher das Festival Thema. 2019 widmete sich die CTM der «Persistence»: Das Jubiläum sollte der Herausforderung gewidmet werden, Beständigkeit gleichzeitig zu kultivieren, ohne der Rigidität zu verfallen und sich Dogmen zu unterwerfen. Beständigkeit, so die Idee, soll sich in einem unentwegten Anerkennen von Diversität, Unterschieden, Hybridität sowie den Übergängen und Unsicherheiten, dem Fluxus und der Vermischung zeigen.

In den besten Momenten funktioniert diese Vermischung als Thema so sehr, dass sich die Festivalbesucherin den einzelnen Teilen und den Übergängen nicht mehr unmittelbar bewusst ist – und geradezu emergente Phänomene vorfindet. So betritt am Abschlussabend Yves Tumor die komplett leere Bühne des Heimathafen Neuköllns und lieferte eine Pop-Show im besten Sinne. Der Künstler singt «I’m just too rock’n’roll baby, come be my rock’n’roll lady» – und die Anwesenden singen liebend gerne mit. Tumor vermischt Avant-Garde Kompositionen, Noise-Konzert sowie Stadion-Atmosphäre und bringt diese Vermischung auf den Punkt – dazu braucht er nicht mehr als ein paar CDJs am Rand der Bühne und ein Mikrophon[1]. Das Publikum, so scheint es, hat sich auch bereits mit Yves Tumor Shows soweit abgefunden, dass es sich nun selber zum Soundtechniker wendet, um höhere Lautstärken zu verlangen (und der Künstler sich in seinen Tiraden dem Lichttechnikerin widmen kann); auch erhält Tumor einen eigentlichen Laufsteg, wenn er sich (weiterhin auch aggressiv) im Publikum bewegt.

Ein solches Ergebnis in der Vermischung erlebt man auch in am Mittwochabend im HAU1. Während Maria W Horn eine solide Noise- und Ambient- Show lieferte, in der vor allem in der Hörsituation des Theaters etwa Übereinkünfte von Underground- und Hochkultur hinterfragt wurden, konnte man im Anschluss sämtliche Konventionen vergessen. Colin Self präsentierte mit Siblings eine Show, die von Gesangspassagen in Begleitung von einem Streicher-Trio über zu Performance- und Tanzeinlagen mit Gabbermusik ging. Der Do-ItTogether Approach von Self (und sicherlich auch Position des Künstlers in der Berliner Szene) sowie die Programmation als Teil des Festivals macht es möglich, dass das Publikum der CTM begeistert auf ein Musical-Format reagierte. Hier schafft das Festival den nötigen Kontext, um ein solches Format, das sonst eher belächelt wird, funktionieren zu lassen.

Ähnlich wie bei der Performance von Self und dessen Musiker und Tänzerinnen vermittelt die CTM auch andere eher verschmähte Formate hip und spannend, was insbesondere im Diskursprogramm klar wird. Ein Highlight war da der Vortrag von Robin James am Donnerstagnachmittag zu Thema Widerstand. Im Kunstquartier Bethanien erklärte die englische Philosophien Problematiken einer Sprache von Widerständigkeit im Zusammenhang mit Ungleichheiten und marginalisierten Gruppen. Trotz – oder gerade aufgrund – einer komplexen Fragestellung fand sich ein interessiertes Publikum zusammen und die Situation im vollgepackten Studio 1 entsprach genauso einer lebendiger akademischen Fachkonferenz, einem Popdiskurs und der Reflexion über Prozesse in der eigenen Szene. Ob die Resultate dieser verschiedenen, gelungenen Vermischungen einem selber begeistern ist eine andere Frage (gerade Colin Selfs Siblings war stellenweise auch einfach nur ein Musical im schlechten Sinne) – als Leistungen des Festivals sollten sie anerkannt werden. In der Beständigkeit im Leisten dieser Vermischung liegt die Stärke der CTM.

Im Zusammenhang zum engeren Festivalthema und den verschiedenen Diskursformaten zeigte sich auch eine der Schwächen der diesjährigen CTM. Die verschiedenen Räume, welche die Möglichkeiten zur Vermischung generieren, so formuliert es der letzte Abschnitt vom Text zu “Persistence”, müssen mittels stabiler, ökonomischer Konditionen garantiert werden. Ein Schwerpunkt in der Frage, wie denn Stabilität garantiert werden könnte, lag scheinbar auf der Idee der Dezentralisierung. Sowohl am Sonntagnachmittag im Rahmen des Diskursprogramm als auch am Donnerstagnachmittag als Teil der eher Workshop-artigen Formate im Projektraum des Kunstquartiers Bethanien widmeten sich diverse Vortragende dieser Idee. Bei erster Gelegenheit lieferte Mat Dryhurst ein ernüchternde aber durch und durch präzise Beschreibung der aktuellen Situation der Musikindustrie. Als Lösungs- oder Alternativvorschlag einer “Decentralised Music Culture” lieferte er dann allerdings nur Beispiele aktueller Berliner Startups, die mit Blockchain-Technologie arbeiteten. Die versprochene “Demokratisierungstendenzen” einer solchen Technologie – die immer noch grosses Unverständnis auslöst – wurde zu oft pauschal und ohne weitere Definitionen präsentiert. Völlig zurecht wies dann Lisa Blanning in der anschliessenden Podiumsdiskussion auf die blinden Flecken von Dryhurst Thesen hin. Die von ihm präsentierten, dezentralen Ansätze werden wohl ebenso ästhetische Konsequenzen haben wie auch sie neue Ungleichheiten mit sich bringen. Geradezu Unverständnis löste der letzte Programmpunkt des von Jon Davies betreuten Workshop-Formates am Donnerstagnachmittag aus. Dort lieferte Ursula O’Kuinghttons einen Business-Pitch für eine Blockchain basierte Newsroom-Plattform ab. Das anwesende Publikum fragte im Anschluss an die Präsentation etwas verdutzt, wie diese Idee nicht nur Investoren, sondern auch unabhängigen Journalismus in Nischenbereichen ansprechen sollte. Möchte man Beständigkeit für Räume der Vermischung schaffen, ist Dezentralisierung sicherlich eine wichtige Frage. Ob eine Technologie wie Blockchain den Mittelpunkt dieser Diskussion einnehmen soll ist sicherlich streitbar. Hier wäre durchaus auch Reflexion im engeren Sinne angebracht: Die eigene(n) Machtposition(en) der CTM etwa, dass als zentrales Festival in einem selbst geschaffenen Raum operiert, wäre Grundlage für eine spannende Diskussion.

Öffnet man die Perspektive auf die von der CTM angestrebten Persistenz etwas, finden sich weitere durch und durch positive und beständige Merkmale des Festivals. Wie jedes Jahr lohnte sich auch bei der 20. Ausgabe der Besuch der Konzertabende im HAU2, auch wenn diese teilweise von grösseren Programmpunkten an anderen Orten überschattet wurden. Das Setting von Blackbox, Sitzkissen und jeweils präziser Ton- und Lichtproduktion schaffte es die ganze Woche zu überzeugen und wunderbare Konzertmomente zu generieren. An dieser Stelle herausgehoben werden kann Nguyen Baly und Tara Transitorys Arbeitsstück Bird Bird, Touch Touch, Sing Sing sowie das Konzert von Sarana am Freitagabend. Letzteres war eine kleine Reise von Musique concrète und Akusmatik über zu Deep Listening und schliesslich Harsh Noise – verpackt in knapp 40 Konzertminuten. Am Abend zuvor stellten Baly und Transitorys Körperlichkeit immer wieder ins Zentrum ihrer Performance, die rund um ein Theremin organisiert war. Von der Verortung des eigenen Körpers im Raum mittels einer Art Suche nach Rückkoppelungen in einem Lautsprechen und Mikrophon, über zum Spiel mit dem elektromagnetischen Feld des Theremins bis hin zu physischen Nähe der beiden Künstlerinnen – der Körper wurde von Baly und Transitory als zentrales Element für Komposition und Klang verwendet. Dieser Fokus auf den eigenen Körper in diversen Performances mag noch nicht wirklich als grosse Beständigkeit des Festivals in der longitudinalen Betrachtung hervortreten. Im Sinne eines Querschnitts der Jubiläumsausgabe (und auch bereits während der Ausgaben der letzten Jahre) war Körperlichkeit jedoch immer wieder ein zentraler Bestandteil von den Auftritten der Künstler und Musikerinnen. So stahlen Alexandra Drewchilds Verrenkungen auf der Bühne des Berghains ihrer Musik als Eartheater schon fasst die Show. Und zu Beginn der Beginn der Woche stelle John Bence am ersten Konzertabend im Berghain seinen Körper im Form von Pantomimen gleich ganz ins Zentrum – und überliess die Musik der Konserve. Beide Performances waren zwei weitere Highlights des Festivals.

Letztlich kann die CTM als Festival selbst als ein Phänomen angesehen werden, dass gerade durch dessen Vermischung diverse Zugänge zu sich erlaubt und sich gegen den Essentialismus in einer Festivalerfahrung verwirkt. Ein von Festival-Kurator Jan Rolf in zweikommasieben #7 beschriebener Overload im Programm führt eben auch dazu, dass die CTM diverse Erlebnisse ermöglicht.  Besucherinnen könnten genauso nur feiern, wie sie sich nur dem Diskurprogramm widmen könnten. Der Ansatz der Vermischung mag Unstimmigkeiten, Ungenauigkeiten oder Übermüdungserscheinungen (bzw. enttäuschende Eislaufen-Erfahrungen) miteinbeziehen. Nichtsdestotrotz ist er auch 2019 durch und durch lohnenswert – gerade im Rahmen eines zehntätigen Festivals und sicherlich auch für zwanzig weitere Ausgaben.

 

 

Fotos via CTM-Festival (bzw. für das Bild von Mat Dryhurst eigene Quelle): Stefanie Kulisch (Bild von Sarana), Udo Siegfriedt (Bilder von Robin James und des Publikums im HAU2) und Camille Blake (restliche Bilder)

[1] Maya-Roisin Slaters Betrachtung der 20.Ausgabe der CTM auf Resident Advisor kreidet etwa Yves Tumor dieses simple Set-Up genau als Schwäche an.