17.08.2013 von Remo Bitzi

Darkstar — Von Drehorgeln und Hügeln

Der Name des im österreichisch-süddeutschen Raum des 18. Jahrhunderts entwickelten Paartanzes Walzer wurde vom mittelhochdeutschen Wort «walzen» abgeleitet, was in etwa «drehen» bedeutet. Dem ist so, weil der Walzer auf einem 3/4-Takt basiert und die Tanzenden sich der Grundschritte wegen zwangsläufig um die eigene Achse drehen. Aus der Vogelperspektive betrachtet, gleicht eine Tanzfläche voller Paare, die diesen Tanz ausführen, dann auch einer höchst komplexen Maschine mit zig sich drehenden, ineinandergreifenden Zahnrädchen. Auf Grund ihrer unterschiedlichen Grössen walzen diese auch in ganz unterschiedlichen Kadenzen. Ein polyrhythmisches Konstrukt, das nicht wirklich nachvollziehbar ist und doch ganz bestimmt einer grösseren Idee folgt.

Beim Anhören des neulich auf Warp Records erschienen Albums News From Nowhere der mittlerweile dreiköpfigen britischen Band Darkstar, erscheint vor dem geistigen Auge ein ähnliches Bild. Obwohl einige der zehn Songs gänzlich ohne Beats auskommen, ist die Idee von Polyrhythmus auf der LP omnipräsent. Es klickt und klackt, knarrt und raschelt, blubbert und zwitschert – jedes Element seinem eigenen Tempo treu und doch mit den anderen verbunden.

Anfang Februar 2013 lud Spezialmaterial James Young, Aiden Whalley und James Buttery, die drei Köpfe hinter Darkstar, ins Exil nach Zürich ein, um News From Nowhere zu präsentieren. Remo Bitzi und José Luis Báez aus den Reihen von zweikommasieben trafen die drei Musiker, um das neue Werk zu besprechen.

Remo Bitzi Ihr habt ein neues Album aufgenommen…

James Young, Aiden Whalley und James Buttery [Synchron] Ja…

RB Wie war das?

AW Gut.

RB Habt ihr euch unter Druck gesetzt gefühlt?

AW Wir setzten uns selber unter Druck, weil… – wie das halt so ist, wenn man anfängt neue Ideen umzusetzen. Es bestand Druck im Sinne von: Das Resultat soll etwas Neues sein, etwas, das wir nicht schon gemacht hatten. Wir wollen nach Vorne blicken und etwas Interessantes produzieren, hinter dem auch alle drei stehen können… Dazu kommt das intensive Arbeitsumfeld: Wir zogen zu dritt in ein Haus um das Album zu schreiben – wir waren also alles in allem ein bisschen mehr als ein Jahr zu einem bestimmten Zweck an einem bestimmten Ort. Diese Situation setzt einen automatisch unter Druck. Man kann der Situation nicht entfliehen, bis das Album eben fertig ist und das Ergebnis dem Label, in unserem Fall Warp Records, präsentiert werden kann. Dieser Gedanke war stets im Hinterkopf.

Darkstar

JB Der Anfang war auch der schwierigste Teil: Eine Handvoll Tracks zusammenzukriegen, die wir alle mochten. Aber als das einmal gemacht war, begann alles zu funktionieren.

RB Ich verfolge eure Musik schon seit einer Weile – zuerst habt ihr Dubstep Tracks produziert, dann kam das Debütalbum North, das eher in Richtung Synthpop ging, und nun ist News From Nowhere erneut ziemlich anders. Darum: Wie wichtig ist euch Innovation?

JY Ich glaube das ist etwas vom allerwichtigsten… Vielleicht ist Innovation das falsche Wort. Ich denke Neugierde ist in unserem Fall treffender. Wenn man einfach immer dasselbe macht wie in der Vergangenheit, dann ist das nicht wirklich spannend. Ich glaube, den anderen beiden geht es da ähnlich. Heute zum Beispiel redeten wir über Einschränkungen…

RB Dann habt ihr quasi Regeln für euch aufgestellt?

JY Es sind keine Regeln. Es geht uns eher um Neugierde.

JB [An JY gewandt] Du hast es gestern passend ausgedrückt: Wir wollen uns selber unterhalten. Wir wollen nicht stehenbleiben. Wenn man glücklich und von etwas begeistert ist, dann kann man etwas Interessanteres, Originelleres erstellen, als wenn nicht.

RB Wegen dieser Neugierde: Seid ihr es Leid Sachen, die euch zu früheren Werken inspirierten, anzuhören?

JY Ich glaube nicht, dass wir gewissen Genres überdrüssig wurden. Es ist nur so, dass wir anderswo nach Inspiration suchen. Musik anzuhören ist eine evolutionäre Sache. Man macht verschiedene Phasen durch.

RB Wie ist es denn mit den Sounds die ihr für News From Nowhere entwickelt habt – seid ihr über diese schon hinweg?

JY Nein, gar nicht. Ich denke, wir werden dieses Feld weiter auskundschaften. Wir sind ziemlich zufrieden damit, wo wir sind und wohin wir uns bewegen. Persönlich denke ich, dass wir schon Meilen von dieser Platte entfernt sind.

JB Ich glaube, wir alle waren am Anfang ein bisschen frustriert, dass wir nicht mehr Musik schreiben können. Das Album wurde doch schon vor einer Weile gemixt…

JY Darum sassen wir darauf nun während sechs oder sieben Monaten fest. Ich glaube, wir alle wollen einfach wieder Musik aufnehmen. Zu touren ist toll, aber wir freuen uns alle schon darauf, endlich wieder schreiben zu können. Wir haben bereits einige Ideen.

RB Wessen Idee war es eigentlich, euch während dem Aufnahmeprozess des neuen Albums in ein Haus einzuschliessen – jene von Warp oder eure?

JB Unsere. Wir wollten eigentlich nach Berlin, aber das ging finanziell nicht. In dem Fall hätten wir weniger Zeit zur Verfügung gehabt, als wir wollten. Aiden und ich sind aus der Region, wo sich das Haus befindet. Deshalb wussten wir, dass das Leben in dieser Gegend nicht allzu teuer ist. Wir fanden dann auch eine günstige Unterkunft. Wir wollten einfach einen Ort haben, an dem wir entfalten können.

RB Wäre eine andere Platte entstanden, wenn ihr sie in Berlin aufgenommen hättet?

JY, AW und JB [Synchron] Definitiv.

JY Das Umfeld war die Komponente, die das Album am meisten beeinflusste. Ohne Zweifel. Der Ort war das komplette Gegenteil von London. Wir hatten kein soziales Umfeld, es gab keinen Ort wo wir hätten hingehen können. Wir schreiben also die ganze Zeit an unseren Stücken. Wir konnten höchstens spazieren gehen oder uns Filme ansehen und Musik anhören. Das alles hatte dann aber wiederum einen Einfluss auf das Album. Die Abgeschiedenheit war somit der grösste externe Einfluss.

RB Was habt ihr in dieses Haus mitgenommen? Spezielle Instrumente?

AW Wir brachten alles mit, was wir uns über die Jahre angeschafft hatten.

JB Zusätzlich kauften wir uns ein Piano. Wir haben uns vor Ort einen Raum eingerichtet – kein richtiges Studio, aber ein Musikzimmer mit Gitarren, Keyboards, et cetera.

JB Wir machten auch Aufnahmen von Rhythmen, die wir auf Gegenständen im Haus spielten.

AW Wir hatten ein grosses Badezimmer mit einem massiven Reverb darin. Man schlug beispielsweise auf die Duschbrause und es entstand ein massiver Klang.

JB Am Tag bevor wir auszogen stellte ich fest, dass wenn man im Badezimmer einen bestimmten Ton sang, ein verrückter Subbass entstand. Schade, dass wir den nicht mehr aufnehmen konnten. Es ist immer so: Kurz bevor etwas vorbei ist, entdeckt man daran etwas Grossartiges. Aber viele perkussive Elemente auf dem Album stammen tatsächlich aus dem Haus.

Darkstar

RB Hattet ihr auch eine Drehorgel dabei?

JY Nein, aber wir versuchten eine Stimmung zu erzeugen, die an dieses Instrument erinnert. Wir wollten etwas machen das chromatisch und verschachtelt klingt. Es sollte rhythmisch sein, aber nicht nur perkussiv, sondern mit verschiedenen Sounds.

RB Woher kommt dieses Interesse?

JB Wir hörten unter anderem ein Werk von Steve Reich. Er kreierte sehr interessante Polyrhythmen.

AW Wir schauten uns auch oft Videos an, die das Innere einer Uhr erklären; also wie die Mechanismen funktionieren und was man tun muss, damit Uhren pünktlich sind. Die Uhrenmacherei ist ein richtiges Handwerk. Es geht unter anderem um Synchronisation, hat aber neben der mechanischen auch eine menschliche Komponente. Wir dachten viel darüber nach und spielten mit dem Gedanken der Beziehung zwischen Mensch und Maschine; und dann auch über die Sounds dieser Uhren und Mechaniken. Wir nannten das den Speichen-Sound – also dieses Geräusch, das entsteht, wenn man etwas zwischen sich drehende Fahrradspeichen tut. Wir erkundeten diese Art von Rhythmen und Sounds.

JB Da schwingt auch das Konzept des Kreises mit, also etwas das sich immer wieder wiederholt. Der Gedanke, dass in einer Maschine gleichzeitig etwas von statten geht, das sich anders bewegt als der Rest, faszinierte uns. Das war der konzeptionelle Teil unserer Arbeit.

JY Das war der vorherrschende konzeptionelle Teil. Jedoch wussten wir nicht genau, was wir untersuchten. Es war also eine sehr vage Vorstellung, die während des gesamten Prozesses vage blieb. Wir wussten lediglich, dass dies ein interessanter Aspekt ist.

JB Ich denke, die Faszination stammt vom Musikmachen am Computer, wo einem ein 16-Takte Loop zur Verfügung steht. Man komponiert also innerhalb dieses Schemas. Und die Elemente wiederholen sich dann ständig. Das ist nun eher technisch. Aber das war schlussendlich alles, was wir in Sachen Konzept verfolgten. Davon abgesehen waren wir eher wie Kinder, die spielten.

RB Lustig, dass du das erwähnst. Denn für mich hat das Album etwas sehr Kindliches.

JB Das hat wohl unterbewusst eine Rolle gespielt. Dort wo wir waren, gibt es eine Menge Hügel, was mich an meine Kindheit erinnerte – damals hatten wir oft Ausflüge an solche Orte unternommen. Und natürlich auch weil Yorkshire der Ort unserer Kindheit ist. Deshalb kann es gut sein, dass da etwas Kindliches mitschwingt. Es ist etwas, das an die jetzige Zeit anknüpft.

RB Ihr habt Steve Reich als Referenz erwähnt. In die Mensch-Maschine-Thematik interpretiere ich Kraftwerk und Detroit-Techno hinein. Was waren davon abgesehen musikalische Referenzpunkte? Gab es die überhaupt?

JY Nicht wirklich. Und gleichzeitig: Ja, denn man kann ja nicht keine Musik hören. Darum absorbierten wir wohlmöglich unterbewusst Sachen. Aber da war kein…

AW …da war kein gemeinsamer Nenner.

JY Wir alle hörten verschiedene Sachen…

AW Jeder hat auch unterschiedliche Musikhörgewohnheiten – und jeder hat verschiedene Inspirationsquellen. Das Interessante ist es, diese zusammenzuführen. Dann formt sich eine Idee und man realisiert, wohin man eigentlich gehen will.

JB Wobei, doch, es gab gemeinsame Referenzen: Ältere Sachen von The Stranglersbeispielsweise.

JW Was wir uns im Haus auch oft angehört haben war eine Platte namens Science Of The Sea von Jürgen Müller… Kennt ihr Actress? Er empfahl mir die Platte. Dieser Jürgen Müller produzierte sie anscheinend vor Jahren – nur für sich und seine Freunde. Es bestand jahrelang nur eine Testpressung davon… bis ein deutsches Label jene entdeckte und sie dann veröffentlichte. Es ist eine tolle Platte!

JB Ich höre mir in letzter Zeit auch oft Can an. Das hat mit unserem Produzenten zu tun. Can ist seine Lieblingsband. Ich kannte Can nicht – abgesehen von diesem Vitamin C Track. Er gab mir dann die gesamte Diskographie. Aber das war nachdem wir das Album fertiggestellt hatten… Was hörten wir uns sonst noch an? [An Aiden gewandt] Du hast dir doch japanische Musik angehört!?

AW Ja, ich hörte oft Musik von einem Typen namens Yasuaki Shimizu. Er ist ziemlich gut.

RB Was macht der denn?

AW Verschiedene Sachen – soviel ich weiss ist er schon etwas älter. Er komponierte beispielsweise Musik für Werbungen. Oder dann ist da diese eine Kompilation mit sehr kurzen Tracks, kleine Beats, die mich an J Dilla erinnern. Er nahm diese in den Achtzigern auf.

RB: Ok, cool. Lasst uns noch über das Artwork von News From Nowhere sprechen. Wer hat das gestaltet?

JY Edward Quarmby.

JB Und wie hiess der Fotograf nochmals? Lebon?

JY Tyrone Lebon. Kennst du The Prodigy?

RB Ja?

JY Erinnerst du dich an das Video zu Prodigys Everybody Is In The Place – jenes mit diesem verzerrten Footage in violett.

RB Ja?

JY Bei diesem Video hat Tyrones Vater Regie geführt.

RB Hat Tyrone nicht auch das Artwork von…

JY …Mount Kimbie?

RB …genau.

JB Ed hat das Artwork gemacht und Tyrone eben das Foto. Ed ist ziemlich way out…

JY Ich denke wir werden mit ihm für immer zusammenarbeiten.

RB Hattet ihr eine visuelle Vorstellung eurer Musik oder habt ihr den Gestaltern einfach die Musik gegeben und das Design offengelassen?

AW Wir schlugen einige Sachen vor.

JY Das ging hin und her. Aber generell wollten wir nicht zu viel sagen.

JB Wir wollten sie machen lassen. Und sie leisteten sehr gute Arbeit.

AW Als wir das Resultat sahen, waren wir begeistert.

JY Vielleicht war es auch weil er mit vielen Musikern zusammengearbeitet hatte, die zu höflich waren und nicht sagten, was sie wirklich dachten. Bei uns war das nicht so. Wir sagten, was wir von der Arbeit denken. Und nur so konnten wir vorankommen.

JB Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber wenn jemand einem nicht zustimmt, dann weiss man, dass die Person es mit einem ehrlich meint.

AW Ed hatte auch eine klare Vorstellung der Arbeit, die er umsetzen wollte. Er wollte Verpackung als Konzept ausloten. Umgesetzt hat er das so: Wenn man die Plastikhülle der LP entfernt, verliert man jegliche Informationen. Was bleibt sind zwei Kunstwerke – einerseits ein unbeschriftetes Poster, anderseits die Platten. Für uns war diese Idee sehr erfrischend und er selber war davon sehr überzeugt. Das gefiel uns. Wir steckten so viel Arbeit in die Platte und waren uns sicher, dass wenn er dasselbe mit dem Artwork macht, etwas Grossartiges entstehen muss.