Physikalische Begriffe wie Umfang und Anziehungskraft sind zentral für die Musik von Jung An Tagen, wie uns der in Wien lebende Stefan Juster – der Produzent hinter dem Alias – wissen liess. Diese Konzepte finden ihren Weg jeweils auch in die visuelle Sprache des Projektes.
«In letzter Zeit hat mich die Ästhetik von wissenschaftlicher Visualisierung einfach fasziniert, insbesondere wie wir sie übersetzten. Zufälligerweise bin ich dann über die Arbeit von Jeong-Ho Park gestolpert, der mit Visualisierung aus dem CERN gearbeitet hat, von denen es ein gewaltiges Online-Archiv gibt. Er hat dann einige Anpassung vorgenommen – und sobald ich Zugang zu dem Material bekam, hat sich das Video wie von selbst geschnitten. Ich habe mich gleichzeitig auch mit Flicker-Filmtechniken auseinandergesetzt, deswegen wollte ich auch die ‹komplementäre Stroboskopie› verwenden – so nenne ich die pink-grüne Bildabfolge, die bei Betrachtung ganz verschiedene Farben hervorruft. Scott Sinclair, mit dem ich schon oft zusammengearbeitet habe, hat mittels Glitches dem Ganzen noch etwas mehr Tiefe gegeben.»
Die komplementäre Stroboskopie im Video zu «20:03 [Y] HOW IS THAT POSSIBLE?» scheint beim Betrachter beinahe epileptische Anfälle auslösen zu wollen. Die damit verbundenen halluzinogenen Effekte sind jedoch nicht reiner Selbstzweck, sondern dienen als Auseinandersetzung mit synästhetischer Wahrnehmung . Dieses Themenfeld ist schon länger ein wichtiges Interesse für Juster und die von ihm mitbetriebene Forschungsgruppe «Virtual Institute Vienna» (VIV). Obwohl Musik das zentrale Medium für Juster bleibt verstehen sich sowohl Jung an Tagen als auch das VIV als interdisziplinäre Projekte.
«An einem gewissen Punkt in meinem Leben habe ich entdeckt, dass mir Musik am meisten Spass macht. Man bewegt sich fast immer in einer Gegenkultur, ist im direkten Austausch mit seinem Publikum und trifft überall spannende Leute, während es gleichzeitig zwar nicht einfach aber trotzdem möglich ist, Geld zu verdienen. Bildende Kunst und andere nicht musikalische Praktiken sind aber weiterhin etwas, was mich interessiert und dank meinem eigentlichen Output auch ermöglicht wird. Und was die Verbindung von musikalischen und visuellen Elementen angeht, ist es einfach so, dass ich mit MTV aufgewachsen bin – ein Video, das Cover und die Titel eines Albums haben genauso eine Bedeutung wie die Musik selber. Ich finde es sehr spannend, während spezifischen Phasen meines Arbeitsprozesses (hauptsächlich während dem Produzieren eines Albums) über Farbkombinationen, Formen und Texte sowie deren Beziehung zum Klang nachzudenken. Die Effekte, die ich damit erzielen möchte – wie etwa das Nachdenken über Synästhesie – sind wohl vergleichbar mit anderen Kunstformen. Ich hoffe allerdings, dass ich mit meinem Ansatz immer präziser werde.»
Das Interesse für Kombinationen und deren Effekte gründet sich in Justers Studien zum experimentellen Kino – das hier Premiere feiernde Video ist auch inspiriert von Peter Kubelkas Kurzfilm Arnulf Rainer von 1960 – und einem Faible für psychedelische Kunst allgemein. Aber auch die Klubkultur ist ein Referenzpunkt für Jung An Tagen:
«Stark psychedelische Kunst hat mich immer fasziniert – unabhängig vom Medium. Und Klubkultur kennt natürlich ähnliche stroboskopische Effekte wie Video. Meine Musik spielt sicherlich mit verschiedensten Settings, aber mir war es eigentlich immer am wichtigsten, dass sie in einer Gegenkultur und in der Techno Szene funktioniert. Das dortige Publikum ist meistens offen für radikale Konzepte während gleichzeitig eine gewisse Tendenz für einen spielerischen Umgang mit diesen Konzepten vorherrscht. Aber natürlich können auch Konzertsituationen mit sitzendem Publikum eine spannende und intensive Angelegenheit sein.»
Während bisherige Konzert vor allem in kompletter Dunkelheit stattfanden, ist ein nächstes Ziel von Jung An Tagen nun auch Live vermehrt mit visuellen Reizen zu arbeiten. So präsentiert Juster ausgehend vom CERN Material eine AV-Show am diesjährigen Hyperreality Festival[1] in Wien. Wer nicht bis dahin warten kann findet hier nun das Video zu «20:03 [Y] HOW IS THAT POSSIBLE?».
Jung An Tagens Album Agent Im Objekt wurde soeben via Editions Mego veröffentlicht. Ein Interview mit Peter Rehberg, dem Betreiber von Editions Mego, erscheint in der kommenden Ausgabe von zweikommasieben.
[1] Siehe auch das Interview mit Hyperreality Kuratorin Marlene Engel in zweikommasieben #15.